Edelweißpiraten
dass Tom sich auf seine Schaufel stützt, und dann hat er mir gegen die Schulter getippt.
»Sag mal, spinn ich, oder ist das der alte Kriechbaum da hinten?«
Ich hab mich umgesehen, dann hab ich den Kerl auch entdeckt. Er stand ein Stück weiter im Graben und hat die Schaufel geschwungen. Wir sind hochgeklettert und zu ihm rüber. Dann haben wir ihn ’ne Zeit lang beobachtet. Er hat geschaufelt wie ein Wahnsinniger. Aber man konnte sehen, dass er so was noch nie gemacht hat. Er hat sich furchtbar ungeschickt angestellt, und viel rausgekommen ist nicht dabei.
Irgendwie hat’s gut getan, ihn da unten zu sehen. In der Schule waren wir so klein gewesen, wir hatten nie ’ne Chance gegen ihn gehabt. Jetzt waren wir größer und kräftiger als er und hatten das Gefühl, wir hätten ihn ungespitzt in den Boden rammen können. Auf einmal waren wir total übermütig.
»Hey, Kriechbaum!«, hat Tom zu ihm runtergerufen. »Kennst du uns noch?«
Er hat mit dem Schaufeln aufgehört und zu uns hochgesehen. Wir haben gemerkt, dass er sich an uns erinnert, aber er hat nur verächtlich den Kopf geschüttelt und sich wieder weggedreht. Das hat uns erst recht angestachelt.
»Was meinst du, Gerle? Was machen wir mit ihm?«
»Weiß nicht. Zuschaufeln?«
»Ja, gute Idee«, hat Tom gesagt. »Hey, Kriechbaum, was hältst du davon? Wir schaufeln dich zu, dann bist du deine Sorgen los. Dann kannst du hier in aller Ewigkeit Panzer aufhalten!«
Er hat getan, als hätte er nichts gehört, dann hat er so was wie »Abschaum« vor sich hin gemurmelt. Da hat’s uns endgültig gepackt. Das mit dem Zuschaufeln war nur ein Witz gewesen, aber jetzt haben wir’s wirklich gemacht. Der Dreck ist nur so auf ihn runtergehagelt. Natürlich hat’s ’n Riesenaufstand gegeben. Die Aufseher von der HJ haben uns zusammengepfiffen und von da an mussten wir schuften wie die Tiere, aber das war uns die Sache wert. Wenigstens ein einziges Mal wollten wir’s Kriechbaum zeigen – nach allem, was er uns angetan hat!
Bis zum Abend ging’s ohne Pause weiter mit der stumpfsinnigen Schaufelei, dann gab’s was zu essen, und anschließend mussten wir zum Schlafen in eine von den Baracken, die da standen. Ich weiß nicht, wie lang sie uns dabehalten wollten, wahrscheinlich noch Tage. Jedenfalls waren wir nicht scharf drauf, es rauszufinden. Mitten in der Nacht, während alle schliefen, sind wir getürmt, und als es dämmerte, waren wir längst weit genug, dass uns keiner mehr erwischen konnte.
Den ganzen Tag sind wir zurückgetrippelt. Immer die Schienen lang, weil uns da nicht so leicht ’ne Streife begegnet wie auf der Straße. Spät am Abend sind wir wieder in unserem Garten angekommen. Die anderen waren heilfroh, als sie uns gesehen haben, sie hatten sich schon Sorgen um uns gemacht. Hatten gedacht, wir sind wieder im EL-DE-Haus gelandet.
Keine Angst, haben wir gesagt. Wir haben nur was für die Landesverteidigung getan und nebenbei ’nem alten Freund bei der Gartenarbeit geholfen. Dafür sperrt man uns doch nicht gleich ein!
22. Oktober 1944
Gestern hab ich erfahren, dass Horst wieder in Köln ist. Meine Mutter hat’s mir erzählt. Ich treff sie ab und zu, um ihr ’n paar Sachen zuzustecken, die mir auf dem Schwarzmarkt in die Hände gefallen sind. Irgendwie hab ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie allein gelassen hab. Ging zwar nicht anders und ich hab’s auch nicht gern getan, aber blöd ist es trotzdem. Deshalb sorg ich wenigstens dafür, dass sie hin und wieder mal was Ordentliches zu futtern kriegt.
Meistens treffen wir uns am Ehrenfelder Friedhof, immer am gleichen Tag und zur gleichen Zeit. In der Klarastraße ist es mir zu gefährlich geworden, ich hab Angst, dass sie mir da auflauern. Der Friedhof ist schön unauffällig, da geht meine Mutter sowieso oft hin, um das Grab von meinem Vater zu pflegen. Ich versteck mich immer kurz vorher in ’nem Gebüsch, lass sie vorbei und warte ’n paar Minuten. Erst wenn ich weiß, dass ihr keiner folgt, geh ich hinterher. Sicher ist sicher!
Jedenfalls hat sie mir erzählt, dass Horst wieder da ist und mich treffen will. Er hat ’ne Stelle im Stadtgarten vorgeschlagen, die früher schon so ’ne Art geheimer Treffpunkt von uns war. Also hab ich mich heute auf den Weg gemacht, quer durch Ehrenfeld. Das ganze Viertel ist inzwischen ’ne einzige Trümmerwüste. Die Engländer fliegen pausenlos Angriffe, jeden Tag gehen die Sirenen. Und sie haben leichtes Spiel, die Flakstellungen sind platt
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