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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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gemacht, ’ne richtige Abwehr gibt’s nicht mehr. Alles fällt in sich zusammen, jeder versucht nur noch, von einem Tag auf den anderen zu überleben.
    Besonders wohl war mir nicht bei dem Gedanken, Horst wiederzusehen.
Ich hatte Angst, er macht mich zur Schnecke wegen allem, was ich getan hab. Dass ich nicht mehr zur HJ bin, obwohl er’s in die Wege geleitet hat. Dass ich mich weiter mit Flint und den anderen rumgetrieben hab. Dass ich Mutter allein gelassen hab. Und dann die Sache mit den Flugblättern und der Gestapo! Ich war mir nicht sicher, wie viel er weiß, aber ich hatte ’n ganz schön mulmiges Gefühl.
    Als ich im Stadtgarten angekommen bin, hat er schon auf mich gewartet. Das Erste, was mir aufgefallen ist, war, dass er keine Uniform trug. Das war an sich schon ungewöhnlich, aber als ich nähergekommen bin, hab ich gemerkt, dass er sich auch sonst verändert hat. Er stand nicht so aufrecht da wie früher, sondern irgendwie gebückt, und in seinen Augen war ein Ausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte.
    »Hey, Mann!«, hat er gesagt, als ich bei ihm war. »Wie geht’s dir so?«
    »Ach, könnte schlimmer sein. Und dir? Seit wann bist du wieder in Köln?«
    Er hat nicht geantwortet, sondern mich nur angesehen. Sein Blick ist mir durch und durch gegangen. Verdammt, was ist mit ihm los?, hab ich gedacht, mich aber nicht getraut zu fragen.
    »Ich hab gehört, was mit dir passiert ist«, hat er nach ’ner Zeit gesagt. »Mit dir und den anderen. Du musst nichts drüber erzählen, wenn du nicht willst. Auch nicht, was ihr jetzt macht und wo ihr seid. Ist wahrscheinlich sogar besser, wenn du’s nicht tust. Ich frag auch nicht danach, ja?«
    »Ja. Klar, Horst, geht schon in Ordnung. Aber –«
    »Und nimm dich vor der Gestapo in Acht, hörst du? Die sammeln sich in Köln. Alle, die aus Frankreich und Belgien geflohen sind. Die wollen noch mal richtig aufräumen, hab ich gehört.«
    Ich hab dagestanden und wusste nicht, was ich denken soll. Einerseits war ich erleichtert, dass er mir keine Vorwürfe macht.
Aber andererseits wär’s mir fast lieber gewesen, er hätt’s getan. Denn so war mir die Sache unheimlich.
    »Sag mal, Horst, da im Osten: Was ist da – ich meine – wie ist es da?«
    »Ich bin nicht mehr im Osten. Sie haben mich nach Köln versetzt.«
    Ich wollte wissen, wieso. Er hat gesagt, er hätte jetzt eben ’ne neue Aufgabe. Als Aufseher im Lager bei den Ostarbeitern, hier in Ehrenfeld, an der Vogelsanger Straße. Da würd bei der SS nicht lang gefragt, das wär einfach so. Aber ich hab an seiner Stimme gemerkt, dass mehr dahintersteckt. Ich hab gedacht, er hat vielleicht Mist gebaut und sie haben ihn zwangsversetzt. Und dann hab ich mich endlich getraut zu fragen.
    »Komm, Horst, sag’s mir: Was ist passiert da im Osten?«
    Er hat gezögert, dann hat er den Kopf geschüttelt. »Kann ich nicht drüber reden.«
    »Verdammt, Horst, ich bin dein Bruder. Sag’s mir!«
    Es hat noch ein paar Minuten gedauert, bis er mit der Sprache rausgerückt ist. Er hat so leise geredet, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Die letzten anderthalb Jahre, hat er gesagt, wär er in Polen gewesen. Als Aufseher im KZ. Erst auf der Fahrt dahin hätten sie’s ihm gesagt. Zuerst hätte er nicht gewusst, was ihn da erwartet. Aber es wär ihm schnell klargeworden. Er hat tief Luft geholt. Und dann hat er alles erzählt. Alles, was er gesehen hatte. Und vor allem – alles, was er getan hatte.
    Ich war total fassungslos. Hab nur dagestanden und zugehört, ohne was zu sagen. Irgendwann musste ich mich setzen. Es war, als hätte mir einer die Beine weggeschlagen. Denn, klar: An das Märchen mit den Altersheimen glaubt schon lange keiner mehr. Alle wissen, dass im Osten schreckliche Sachen passieren. Viele Gerüchte sind in Umlauf. Von wegen, dass die Juden alle umgebracht werden. Aber trotzdem war ich auf das, was Horst erzählt
hat, nicht vorbereitet. Es war entsetzlich. Und das Schlimmste war der Gedanke, dass er selbst – mein Bruder – bei all dem mitgemacht hat.
    Er hat erzählt und erzählt, aber irgendwann konnte er nicht mehr. Seine Stimme ist ihm weggeblieben, und dann ist er richtig zusammengeklappt. Hat Rotz und Wasser geheult. Als das passiert ist, war ich endgültig fertig. In meinem ganzen Leben hatte ich ihn noch nicht weinen sehen, das gab’s einfach nicht. Ich hab zu ihm rübergeguckt, und dann ist es mir klargeworden. Dass alles, woran er geglaubt und wofür er gelebt hat, da im Osten

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