Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eden Inc.

Eden Inc.

Titel: Eden Inc. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
Vom Netzwerk:
daneben ist auch vorbei. Man könnte sagen, dieses Wissen ist ein Bestandteil meines Berufes.«
    »Wirklich? Was sind Sie von Beruf?«
    »Ich unterrichte englische Literatur an der Columbia.«
    Lash nickte beeindruckt. »Tolle Uni.«
    »Ich bin zwar nur Tutorin, aber fest angestellt und habe eine Planstelle.«
    »Was ist Ihr Spezialgebiet?«
    »Die Romantiker, schätze ich. Lyrische Dichtung.«
    Lash empfand ein eigenartiges Beben, als sei tief in seinem Inneren gerade etwas eingerastet. Auf dem College hatte er an romantischer Dichtung sein Vergnügen gehabt, bis die Psychologie und die Erfordernisse der höheren Fachsemester diese Liebelei verdrängt hatten. »Das ist aber interessant.
    Zufälligerweise habe ich kürzlich Bashö gelesen. Obwohl er ja eigentlich kein echter Romantiker ist.«
    »Auf seine Weise schon. Der größte Haiku-Poet Japans.«
    »Darüber weiß ich nichts. Aber seine Gedichte sind mir im Gedächtnis geblieben.«
    »So sind Haikus eben. Es ist tückisch. Sie kommen einem so einfach vor. Aber dann pirschen sie sich aus hundert verschiedenen Richtungen an einen heran.«
    Lash dachte an Lewis Thorpe. Er trank einen Schluck Wein, dann zitierte er:
     
    Sprachlos vor
    sprossenden grünen Frühlingsblättern
    im flammenden Sonnenschein
     
    Als er sprach, verblasste Dianas Lächeln und ihr Gesicht wirkte konzentriert. »Noch mal, bitte«, sagte sie leise. Lash kam ihrem Wunsch nach. Als er fertig war, machte sich an ihrem Tisch Schweigen breit. Es war jedoch keine peinliche Stille. Sie saßen nur da und erfreuten sich an einem Moment schweigsamer Nachdenklichkeit. Lashs Blick schweifte kurz über die Nachbartische und die üppigen abendlichen Farben, die hinter dem Fenster auf dem Park lagen. Unmerklich war die Nervosität, die er beim Betreten des Restaurants empfunden hatte, verblasst.
    »Es ist wunderschön«, sagte Diana schließlich. »Solche Momente habe ich schon mal erlebt.« Sie hielt einen Moment inne. »Es erinnert mich an ein anderes Haiku, das Kobayashi Issa ein Jahrhundert später geschrieben hat.« Nun zitierte sie:
     
    Insekten auf einem Ast
    treiben flussabwärts
    und singen dennoch.
     
    Der Kellner tauchte wieder auf. »Haben Sie schon gewählt?«
    »Wir haben die Speisekarte noch nicht mal aufgeklappt«, sagte Lash.
    »Sehr wohl.« Der Mann verbeugte sich erneut und ging davon. Lash wandte sich wieder Diana zu. »So schön diese Haikus auch sind, mein Problem ist, dass ich sie im Grunde nicht verstehe.«
    »Nein?«
    »Ach, oberflächlich verstehe ich sie vielleicht irgendwie schon. Aber sie kommen mir wie Rätsel vor, die eine tiefe Bedeutung haben, die mir entgeht.«
    »Das Problem kenne ich. Das höre ich jeden Tag von meinen Studenten.«
    »Erleuchten Sie mich.«
    »Sie sehen diese Gedichte wie Epigramme. Aber Haikus sind keine kleinen Rätsel, die es zu knacken gilt. Meiner Meinung nach sind sie genau das Gegenteil. Sie deuten Dinge an. Sie überlassen eine Menge der Phantasie. Sie implizieren mehr, als sie sagen. Suchen Sie nicht nach Antworten. Denken Sie lieber an sich öffnende Türen.«
    »Sich öffnende Türen«, wiederholte Lash.
    »Sie haben Bashö erwähnt. Wussten Sie, dass er das berühmteste Haiku aller Zeiten geschrieben hat? Es heißt >Einhundert Fröschec. Es besteht nur aus siebzehn Lauten - wie alle traditionellen Haikus. Aber wissen Sie was? Es wurde auf über fünfzig verschiedene Arten ins Englische übersetzt. Und keine Übersetzung hat irgendwas mit den anderen zu tun.«
    Lash schüttelte den Kopf. »Erstaunlich.«
    Nun lächelte Diana wieder. »Das meine ich, wenn ich von sich öffnenden Türen rede.«
    Wieder trat ein kurzes Schweigen ein. Ein Servierkellner pirschte sich an, um ihre Gläser nachzufüllen. »Es ist wirklich komisch«, sagte Lash, als der Mann gegangen war.
    »Was ist komisch?«
    »Dass wir uns hier über französische Weine, griechische Mythologie und japanische Dichtung unterhalten, ohne dass Sie mich gefragt haben, was ich so mache.«
    »Ich weiß, dass ich nicht nachgefragt habe.«
    Auch diesmal überraschte ihn ihre Direktheit. »Nun, ist es normalerweise nicht das erste Thema, über das man spricht? Beim ersten Rendezvous, meine ich.«
    Diana beugte sich vor. »Genau. Und genau das macht dieses hier ja so besonders.«
    Lash zögerte nachdenklich. Dann verstand er plötzlich. Es lag keine Notwendigkeit vor, die üblichen Fragen zu stellen.
    Für all das hatte ja Eden gesorgt. Das ermüdende Einführungsgelaber, das Austarieren bei

Weitere Kostenlose Bücher