Eden Inc.
Verabredungen, bei denen man sein Gegenüber nicht kannte - dies zählte hier nicht.
Vor ihnen lag eine Entdeckungsreise.
Dergleichen war ihm noch nie passiert. Der Gedanke war sehr befreiend.
Der Kellner kam, registrierte, dass sie die Speisekarte noch immer nicht angerührt hatten, verbeugte sich noch einmal und zog sich zurück.
»Armer Kerl«, sagte Diana. »Er hofft sicher darauf, dass sein Tisch heute Abend noch einmal besetzt wird.«
»Wissen Sie was?«, erwiderte Lash. »Ich glaube, dieser Tisch ist heute für den ganzen Abend gebucht.«
Diana hob lächelnd die Hand, als wolle sie ihm zuprosten.
»Na, in diesem Fall: auf den Rest dieses Abends!«
Lash nickte. Dann tat er etwas, das er selbst nicht erwartet hatte: Er nahm Dianas Hand und hob sie sanft an seine Lippen. Als er über die Krümmung ihrer Knöchel hinwegsah, merkte er, dass ihre Augen größer und ihr Lächeln breiter wurde.
Als Lash ihre Hand losließ, spürte er einen schwachen Duft.
Es war weder Seife noch Parfüm, sondern etwas von Diana selbst: ein Hauch Zimt, Kupfer oder irgendetwas, das sich jeglicher Identifikation widersetzte. Es war irgendwie berauschend. Lash dachte an das zurück, was Mauchly im Eden-Genetiklabor gesagt hatte: an die Mäuse und ihre ungewöhnliche Methode, die unterschiedlichste Gen-Auswahl ihrer potenziellen Partner zu erschnüffeln. Er musste plötzlich laut lachen.
Diana sagte nichts, sie zog nur fragend die Brauen hoch.
Als Reaktion darauf hob Lash seine Hand, die nun das Weinglas hielt und sagte: »Und außerdem auf ein Universum der Vielfalt.«
34
Der Sonntag dämmerte kalt und grau heran, und als die Sonne am Himmel aufging, schien sie das Land eher abzukühlen, anstatt zu wärmen. Gegen Mittag waren die Schaumkronen über dem Long-Island-Sund grau bedeckt, und das unruhige Wasser wirkte schwarz: Vorboten des sich im Anmarsch befindlichen Winters.
Lash saß im Büro seines Hauses vor dem Computer und labte sich an einer Tasse Kräutertee. Angesichts der spannungsgeladenen Atmosphäre beim Dinner und der späten Stunde, zu der er sich von Diana getrennt hatte, war es ihm wundersamerweise gelungen, gute sechs Stunden zu schlafen und diesmal nicht völlig zerschlagen aufzustehen. Ruhelosigkeit hatte ihn jedoch gepackt: Da es verboten war, Daten aus dem Eden Building nach Hause mitzunehmen und er keinen Zugriff auf Akten und Aufzeichnungen hatte, gab es für ihn keine Möglichkeit, seine Ermittlungen voranzutreiben.
Trotzdem sagte ihm sein Instinkt, dass er kurz - vielleicht sogar sehr kurz - vor einer Enthüllung stand. Deswegen war er im Haus grübelnd auf und ab gegangen und hatte sich letztlich frustriert dem Internet zugewandt und allem, was er über Eden in Erfahrung bringen konnte.
Da war das übliche Internetgewäsch: Ein Schwafelkopf behauptete, er habe Edens Geheimnisse geknackt und sei bereit, sie für 19,95 Dollar auf einer Videokassette mitzuteilen.
Verschwörungstheoretiker sprachen finster von den bösen Allianzen, die Eden mit den Geheimdiensten eingegangen war. Doch unter all dem Mist befand sich hin und wieder auch ein Goldkorn. Lash druckte ein halbes Dutzend Artikel aus, dann ging er mit den Seiten zum Wohnzimmersofa.
Die Füße auf dem Tisch, das klagende Geschrei der Möwen in der Ferne, blätterte er sie langsam durch. Er fand ein überaus kompliziertes Gutachten über »Künstliche Persönlichkeit und Schwarmintelligenz«, das Silver vor fast einem Jahrzehnt verfasst hatte. Zweifellos stand es ohne seine Genehmigung im Netz. Eine Finanzsite brachte eine nüchterne Analyse des Eden- Geschäftsmodells, wobei ein Teil bereits öffentlich bekannt war, und einen kurzen historischen Abriss, dass der Pharma-Gigant PharmGen Eden bis zu seiner Eigenständigkeit finanziert hatte. Eine andere Site hatte eine schmeichelhafte Unternehmerbiografie Richard Silvers publiziert, der aus dem Nichts zum Weltklasse-Unternehmer avanciert war. Diesen Aufsatz las Lash genauer als die ersten beiden und wunderte sich, dass Silver seinen Traum so treu und entschlossen entwickelt und nicht zugelassen hatte, dass die - nur angedeuteten - Missgeschicke seiner Jugend ihm den Weg verbauten. Er war ein seltener Typ, ein Genie; er hatte offenbar schon in sehr jungen Jahren sein Talent erkannt, das er der Welt schenken würde.
Doch nicht alle Artikel fielen schmeichelhaft aus. Ein widerliches Pamphlet aus einem Revolverblatt versprach die »schockierenden und bizarren« Einzelheiten des »irren
Weitere Kostenlose Bücher