Eden und Orion - Lichtjahre zu dir
den iPod lauter und rannte schneller. Wenn ich mich an meine Grenzen brachte, auch das wusste ich, bis kurz vor dem Zusammenbruch, würde ich mich nur noch auf meine Atmung konzentrieren können. Und das Denken würde endlich aufhören. Nein, ich würde mir nicht die Blöße geben und zum Lemming mutieren wie die anderen Mädchen meiner Schule; ich würde meine Zeit nicht damit vergeuden, den ganzen Tag lang von Ryan Westland zu träumen. Außerdem war das sowieso zwecklos. Denn dass Ryan Westland zum Niederknien war, fanden mindestens hundert Verehrerinnen neben mir. Und bei einer solchen Konkurrenz musste ich passen. Ganz klar: Er war einfach eine Nummer zu groß für mich.
Ich löschte alle Gedanken aus meinem Gedächtnis. Es hatte ja eh keinen Zweck. Und – ganz ehrlich – was hatte ich schon zu bieten? Einatmen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig . Ausatmen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig . Atmen. Immer weiteratmen. Meine Waden schmerzten. Mein Magen knurrte. Auf den verbleibenden Metern bis nach Hause mobilisierte ich meine letzten Kräfte. Kurz vor dem Ziel drehte ich noch einmal richtig auf. Gleich hatte ich es geschafft. Dann gab es Frühstück.
Um halb zwei hatte ich meinen Kleiderschrank komplett durchwühlt, alles in allen Varianten durchprobiert – und entschied mich schlussendlich doch für meine Lieblingsjeans und den dünnen grünen Pulli, der laut Miranda so gut zu meiner Augenfarbe passte. Ich versuchte, mein Haar glatt zu bürsten, tuschte mir die Wimpern und legte Lipgloss auf. Fertig. Dann ging ich nach unten, um auf Ryan zu warten.
Schlag Viertel vor fuhr ein rotes Auto vor. Ich holte die Kühltasche aus der Küche und öffnete die Haustür. Ryan stand schon davor und wollte gerade klingeln. Er trug Jeans, ein weißes T-Shirt und darüber ein rotes Flanellhemd. Dazu seine schwarze Lederjacke und Boots. Er sah anders aus ohne Schuluniform.
»Hi«, sagte er und lächelte.
Ich wurde natürlich wieder rot. Warum konnte ich nicht ein einziges Mal cool bleiben? »Hi.«
Ryan nahm mir die Kühltasche ab und trug sie zum Kofferraum, während ich die Tür abschloss.
»Cassie, das ist Eden«, stellte er mich seiner Schwester vor, als ich auf den Rücksitz kletterte.
Cassie drehte sich zu mir um. Sie hatte blonde Locken, die sich wie Albinoschlangen über ihre Schultern bis zur Mitte ihrer Brust ringelten. »Du bist also das Mädchen aus der Astronomie-AG?«, sagte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, bin ich nicht.« Sie musste mich verwechseln. Und auf einmal ergab alles Sinn: Deshalb hatte Ryan sich also breitschlagen lassen, mit mir auf die Fete zu gehen. Weil er jemanden kennengelernt hatte. Mal gespannt, für wen er sich interessiert , dachte ich sarkastisch.
Cassies Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, als sie sich an Ryan wandte. »Aber du hast doch gesagt …«
»Ja, ich weiß, ich weiß«, unterbrach Ryan sie. »Eden ist eine gute Freundin von Connor.«
»Aha«, sagte Cassie nur, drehte den Zündschlüssel, schaltete das Radio an und fuhr los. »Und? Wie lange kennst du Connor schon?« Ihre Frage hörte sich mehr wie ein Verhör an als höfliches Geplauder.
»Seit wir ungefähr vier waren. Er ist einer meiner engsten Freunde«, antwortete ich ehrlich.
Diese Informationen schienen sie zufriedenzustellen. Ich beobachtete Cassie, wie sie mich im Rückspiegel musterte. Dann warf sie Ryan einen Blick zu und drehte die Musik lauter. Langsam beschlich mich der Verdacht, dass ich das Objekt einer Wette oder irgendeiner dämlichen Mutprobe zwischen den beiden war.
Die Geschwister schwiegen, bis wir oben an der Klippe einen Parkplatz gefunden hatten. »Bleib sauber!«, sagte Cassie zu Ryan und schaltete den Motor aus.
Er lachte. »Keine Chance.«
Cassie legte eine Hand auf sein Knie. »Ruf an, wenn ich euch abholen soll, ja?«
Lächelnd legte Ryan seine Hand auf ihre und schob sie entschieden weg. »Danke, Cassie«, sagte er knapp. Dann öffnete er die Autotür und stieg aus.
Als ich den Gurt löste, drehte Cassie sich zu mir um und sah mich scharf an. Ich wusste genau, was sie in diesem Moment dachte: Warum geht er mit einer wie ihr auf eine Fete?
Und welche Schwester legt ihrem Bruder die Hand aufs Knie? , dachte ich.
»Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Eden«, sagte Cassie, ohne die Mundwinkel auch nur ansatzweise zu verziehen.
Ziemlich unhöflich , schoss es mir durch den Kopf. Ich hielt ihrem Blick jedoch stolz stand. »Danke fürs Fahren«, antwortete ich kühl und
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