Eden und Orion - Lichtjahre zu dir
das irgendwie zurückgeben.«
»Das kannst du auch«, sagte ich und blieb stehen.
»Wie denn?«
»Indem du mir vertraust.«
»Ich vertraue dir doch längst!« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah zum Himmel hinauf. »Erinnerst du dich noch an eines der Sternbilder, die ich dir damals, nach Amys Party, gezeigt habe?«
Ich reckte den Hals nach oben. »Das ist Kassiopeia«, sagte ich und deutete auf das w-förmige Sternbild hoch oben am Firmament.
»Du erinnerst dich wirklich.«
»Natürlich erinnere ich mich – was dachtest du denn?« Fieberhaft suchte ich den Himmel nach Orion ab.
»Es ist die falsche Jahreszeit, um Orion sehen zu können«, sagte Ryan, der meine Gedanken zu lesen schien. »Im Winter geht das am besten. Pass auf, jetzt zeige ich dir noch ein neues Sternbild.«
Ryan drehte mich in Richtung Nordhimmel, nahm meine Hand und benutzte sie als Zeiger. Hoch oben am Firmament fuhr er den Buchstaben ›y‹ nach.
»Das ist Perseus«, sagte er. »Und dieser helle Stern dort heißt Mirfak.«
»Wunderschön«, flüsterte ich.
»Finde ich auch. Im Sternbild des Perseus gibt es aber noch einen besonderen Stern, den ich dir zeigen möchte.«
Ryan bewegte meine Hand leicht. »Algol. Der Teufelsstern.«
»Warum Teufelsstern?«
»Weil Algol aussieht wie ein einzelner Stern, in Wirklichkeit aber ein Dreisternsystem ist. Ein heller bläulicher Stern und ein weniger leuchtstarker rot-gelber umkreisen einander – und werden wiederum von einem dritten Stern umkreist. Wenn der größere, aber dunklere Stern vor dem hellen bläulichen Stern vorüberzieht und diesen verdeckt, scheint es, wenn man mit bloßem Auge von der Erde aus in den Himmel sieht, als wechsle Algol seine Helligkeit. Von hier unten sieht es sogar ein bisschen aus, als würde er uns zuzwinkern. Wenn du ihn drei Tage hintereinander beobachtest, kannst du seine unterschiedlichen Helligkeitsstufen deutlich unterscheiden.«
»Wahnsinn!«, sagte ich.
»Ja, wirklich. Aber weißt du, was das Allercoolste an Algol ist?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Algol hat ein eigenes Sonnensystem. Um diesen Dreistern kreisen fünf weitere Sterne.« Ryan hielt einen Augenblick inne, um die Information wirken zu lassen. »Drei dieser Sterne sind Gasriesen. Der vierte steht Algol zu nahe, als dass es dort Leben geben könnte. Einer der Planeten im Algol-Sonnensystem ist jedoch bewohnbar. Und dieser Planet heißt Eden.«
Als ich in den schwarzen Nachthimmel auf den hellen weißen Stern über mir starrte, der mir wirklich zuzuzwinkern schien, wurde mir erst so richtig klar, wie unglaublich es war, dass dieser Planet dort oben über ein eigenes Sonnensystem verfügte. Und dass ihn ein Stern umkreiste, auf dem menschliches Leben möglich war. Auf dem es menschliches Leben gab . Eine irdische Existenz. Und ich wusste davon, bevor Connor ihn entdeckt hatte.
»Das musst du jetzt aber schnell wieder vergessen«, flüsterte Ryan mir ins Ohr. Sein Atem legte sich warm auf meine Haut, und ich bekam Gänsehaut. Die Nachtluft war kalt, und ich hatte keine Jacke mitgenommen, aber das störte mich in diesem Moment überhaupt nicht. Ryan hatte mir gerade erzählt, dass er auf einem anderen Planeten geboren war und hatte mir seine Heimat am Himmel gezeigt. Jetzt war ich der einzige Mensch meiner Zeit, der das wusste. Er hätte mir das alles niemals erzählen dürfen. Aber er vertraute mir ganz offensichtlich.
Und ich vertraute ihm.
Die Vorhänge im Wohnzimmer waren geschlossen; an dem blauen Geflimmer dahinter erkannte ich jedoch, dass Miranda noch fernsah. Sie würde allein sein, wenn ich gleich hineinging, und nur deshalb noch wach sein, weil sie auf mich wartete. Und weil sie sich darauf freute, mich über meinen Tag erzählen zu hören und das Kreuzworträtsel mit mir zu lösen.
Zwischen unseren beiden Leben – ihrem und meinem, das ich gerade selbst zu gestalten begann, zwischen dem Leben hier im Haus, wo alles den Naturgesetzen folgte, wie wir sie kennen, und dem Leben dort draußen, wo Sterne nicht einfach nur Sterne, sondern Sonnen und andere Planeten waren und wo Menschen durch die Zeit reisen konnten, bestand eine tiefe Kluft.
»Ich rufe dich an«, sagte Ryan zum Abschied.
Ich nickte, schloss die Tür auf und ging ins Haus. Als ich mich noch ein letztes Mal nach ihm umdrehte, schloss Ryan gerade das Gartentor. »Gute Nacht, außerirdischer Fremder«, sagte ich leise.
»Nacht, Erdling«, antwortete Ryan und lachte. Dann ging er leichten Schrittes zu
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