Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
Silbe konnte mich retten, aber diese Silbe auszusprechen war mir versagt! Ich fühlte, dessen bin ich gewiß, zehntausendfach die Ängste der letzten Stunde. Mein Hirn gab nach, und ich stürzte in tödlichem Übelsein über den Koffer.
Bei meinem Fall wurde das Messer aus meinem Hosengürtel herausgeschüttelt und sprang klirrend auf den Fußboden. Nie hat die süßeste Musik meinen Ohren so hold geschmeichelt! In der höchsten Spannung horchte ich auf, ob das Geräusch eine Wirkung auf Augustus hervorgebracht hatte, denn nur er konnte meinen Namen gerufen haben. Minutenlang war alles still. Endlich hörte ich ihn das Wort »Artur« wiederholen, in leisem Tone und wie mit bangem Zögern. Die neubelebte Hoffnung löste mir auf einmal die Zunge, und jetzt schrie ich mit aller Macht meiner Kehle: »Augustus! O Augustus!« – »Pst! Um Gottes willen, verhalte dich ruhig!« erwiderte er mit vor Erregung zitternder Stimme. »Gleich bin ich bei dir, ich muß erst meinen Weg durch den Kielraum finden.« Lange hörte ich ihn sich im Gerümpel bewegen, und jeder Augenblick schien eine Ewigkeit zu sein. Endlich, endlich fühlte ich seine Hand auf meiner Schulter, und zugleich setzte er eine Flasche Wasser an meinen Mund. Nur jene, die plötzlich dem Rachen des Grabes entrissen werden, oder jene, die so unerträgliche Durstesqualen kennenlernten, wie ich sie unter den schwersten Umständen in meinem traurigen Kerker zu erdulden hatte, nur sie vermögen sich einen Begriff von dem unaussprechlichen Glücksgefühl zu machen, den ein langer Zug dieser kostbarsten aller irdischen Herrlichkeiten mir gewährte.
Sobald ich meinen Durst einigermaßen gestillt hatte, zog Augustus aus seiner Tasche drei oder vier gekochte Kartoffeln, die ich mit der größten Gier hinabschlang. Er trug ein Licht in einer Blendlaterne bei sich, und die gütigen Strahlen schenkten kaum geringeren Trost als Essen und Trinken. Aber ich verlangte mit Ungeduld zu erfahren, was ihn so lange ferngehalten haben konnte, und alsbald begann er mir alles zu berichten, was sich während meiner Gefangenschaft an Bord zugetragen hatte.
Viertes Kapitel
Wie ich vermutete, war die Brigg ungefähr eine Stunde, nachdem er mir die Uhr dagelassen hatte, in See gestochen. Das war am zwanzigsten Juni. Man wird sich entsinnen, daß ich drei Tage lang im Kielraum gewesen war, und während dieser Zeit gab es an Bord solch ein Durcheinander und Herumlaufen, besonders in der Kajüte und den Staatskabinen, daß er keine Gelegenheit gefunden hatte, mich zu besuchen, ohne das Geheimnis der Falltür aufs Spiel zu setzen. Als er nun endlich kam, versicherte ich ihn, alles gehe so gut als irgend möglich; und darum empfand er die beiden folgenden Tage meinetwegen keine Besorgnis, obwohl er immer auf der Lauer lag, ob sich nicht Gelegenheit böte, hinabzusteigen. Erst am vierten Tage fand er sie. In der Zwischenzeit hatte er sich schon öfter entschlossen, seinem Vater alles anzuvertrauen und mich sofort an Deck holen zu lassen; aber wir waren noch nicht sehr weit von Nantucket entfernt, und nach mehreren Äußerungen, die dem Kapitän entschlüpften, erschien es zweifelhaft, ob er nicht umkehren würde, sobald er meine Anwesenheit erführe. Außerdem, erzählte mir Augustus, konnte er nach reiflichem Nachdenken sich nicht recht vorstellen, daß ich mich in unmittelbarer Not befände oder daß ich in solchem Falle zögern würde, mich an der Falltür bemerkbar zu machen. Als er so alles in Betracht gezogen hatte, beschloß er, mich unten zu lassen, bis er in die Lage käme, mich unbemerkt aufzusuchen. Das geschah, wie schon erwähnt, erst am vierten Tage nach Überbringung der Uhr und am siebenten nach meinem Einzug in den Kielraum. Er war hinuntergestiegen, ohne Wasser oder Vorräte mitzunehmen, da er mich vor allem zur Falltür rufen wollte, um mich dann von der Kabine aus zu verproviantieren. Er hörte mich sehr laut schnarchen, mußte also annehmen, ich schlafe. Nach meinen Berechnungen war dies der Schlummer, in den ich nach Abholung der Uhr gesunken war; er mußte somit mindestens drei ganze Tage und Nächte gedauert haben. Neuerdings bin ich durch eigene Erfahrung und die Versicherungen anderer mit den starken, einschläfernden Wirkungen bekannt geworden, die der Ausdünstung alten, engverwahrten Fischtrans eigen sind; und wenn ich mich des Zustandes erinnere, in dem der Kielraum sich befand, und bedenke, wie lange die Brigg als Walfänger gedient hatte, bin ich manchmal geneigt,
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