Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
ein Licht an und stieg hinunter, indem er nur mit der größten Mühe zwischen den festen Verstauungen des Kielraums vorwärts drang. Bald beunruhigten ihn der unerträgliche Geruch und die Stickigkeit der Luft. Er konnte es kaum für möglich halten, daß ich meine Einsperrung so lange hatte überleben können. Er rief mich wiederholt beim Namen, aber ich antwortete nicht, und seine Befürchtungen schienen zur Wahrheit zu werden. Die Brigg stampfte heftig, und der Lärm war so groß, daß ein leiser Ton, wie mein Atem oder Schnarchen, nicht vernehmbar gewesen wäre. Er öffnete die Blendlaterne und hielt sie, so oft sich Gelegenheit ergab, so hoch als möglich, damit ich, falls ich lebte, das Herannahen der Hilfe zu erkennen vermöchte. Noch immer war von mir nichts zu vernehmen, und die Vermutung, ich sei tot, gestaltete sich ihm allmählich zur Gewißheit. Trotzdem beschloß er, einen Weg zu meinem Koffer zu erzwingen. Eine Zeitlang kam er im jämmerlichsten Zustand der Besorgnis weiter, bis er endlich den Durchgang vollkommen verstopft fand und einsah, daß er auf diesem Weg sein Ziel nicht erreichen werde. Seine Gefühle überwältigten ihn, er warf sich verzweifelnd unter das Gerümpel und weinte wie ein Kind. In diesem Moment hörte er den Krach, den ich durch das Wegwerfen meiner Flasche hervorrief. Auf diesem so geringfügigen Vorkommnis beruhte, wie es scheint, mein Schicksal. Das aber habe ich erst nach vielen Jahren erkannt. Natürliche Scham und ein Bedauern seiner Schwäche verhinderten Augustus, mir sofort zu beichten, was er mir später in schrankenlosem Vertrauen enthüllte. Er hatte angesichts unüberwindlicher Hindernisse seinen Versuch, zu mir durchzudringen, bereits aufgegeben und beschlossen, ins Vorderkastell zurückzukehren. Man sollte ihn nicht gänzlich verdammen, ohne die quälenden Umstände, die ihn hemmten, in Betracht zu ziehen. Die Nacht war am Schwinden; seine Abwesenheit konnte entdeckt werden; ja, das mußte der Fall sein, wenn er nicht bei Tagesanbruch in der Koje war. Die Kerze verflackerte bereits; es würde daher sehr schwer sein, im Dunkeln den Weg zur Luke wiederzufinden. Dann hatte er auch alle Ursache, mich für tot zu halten; was aber hätte es mir genützt, wenn er ohne Zweck einer Welt von Mühen begegnet wäre? Ich war jetzt elf Tage und Nächte unten; ich besaß kein Wasser außer dem in jenem Krug enthaltenen und würde schwerlich damit gespart haben, da ich Grund hatte, auf baldige Erlösung zu hoffen. Auch mußte ihm, der aus der verhältnismäßig freien Luft des Matrosenlogis kam, die Atmosphäre im Kielraum geradezu giftig und viel unerträglicher erscheinen, als ich sie beim Beziehen des Raumes empfunden hatte; waren doch die Luken vorher monatelang offen gewesen. Rechnet man noch hinzu die eben erlebten Szenen voll Blutvergießens und Schreckens, seine Einschließung und seine schlechte Ernährung, sein knappes Entrinnen aus Lebensgefahr und die fragliche Sicherheit, in der er sich noch befand – lauter Umstände, die wohl geeignet sind, jede Willenskraft zu brechen –, so wird es dem Leser leichtfallen, sein scheinbares Versagen eher mit Betrübnis als mit Entrüstung zu betrachten.
Deutlich hörte er den Krach der Flasche, aber er war nicht sicher, ob der Laut aus dem Kielraum gekommen war. Der Zweifel genügte ihm jedoch, um ihn zur Fortsetzung seiner Bemühungen anzuspornen. Er kletterte fast bis zum Zwischendeck empor und rief dann so kräftig als möglich meinen Namen, indem er ein Nachlassen im Gestampfe des Schiffes sich zunutze machte, ohne für den Augenblick daran zu denken, daß man ihn oben hören könne. Der Ruf erreichte mich, wie man weiß; aber die entsetzliche Aufregung nahm mir jede Fähigkeit, zu antworten. Nun hielt er seine schlimmsten Besorgnisse für begründet und machte sich, ohne Zeit zu verlieren, auf den Rückweg. In der Eile warf er ein paar Kisten um, das war der Lärm, den ich hörte. Dann fiel mein Messer zu Boden, und das machte ihn stutzig. Sogleich kehrte er um, erklomm abermals die verstauten Kisten und rief in einer Pause des Sturmes laut meinen Namen. Diesmal wurde es mir möglich, ihm Antwort zu geben. Hocherfreut über die Entdeckung, daß ich noch am Leben war, entschloß er sich jetzt, jeder Schwierigkeit Trotz zu bieten. Er entwand sich dem Gerümpel, das ihn gehemmt hatte, fand endlich einen besseren Durchgang und erreichte in einem Zustand völliger Erschöpfung mein Versteck.
Sechstes Kapitel
Jetzt berichtete
Weitere Kostenlose Bücher