Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
Augen öffnen und einen langen Zug tun.
Nach einigen Minuten ging der Maat mit dem Koch hinauf, und sobald sie fort waren, nahm Dirk Peters den Platz ein, auf dem jener gesessen hatte. Er ließ sich mit Augustus in eine gemütliche Unterhaltung ein, und wir erkannten jetzt, daß seine Trunkenheit erheuchelt war. Er antwortete offenherzig auf alle Fragen meines Freundes, sagte ihm, er zweifle nicht daran, daß man seinen Vater aufgefunden habe, da an jenem Tag nicht weniger als sechs Segel kurz vor Sonnenuntergang gesichtet worden seien, und sprach ihm auch sonst tröstlich zu, was mir ebenso überraschend als erfreulich war. In der Tat fing ich an, zu hoffen, daß wir mit Peters‘ Hilfe uns der Brigg wieder bemächtigen könnten, und teilte diesen Gedanken meinem Freund so bald wie möglich mit. Er hielt die Sache nicht für unmöglich, betonte aber, daß man sehr behutsam vorgehen müsse, da das Benehmen des Halbbluts möglicherweise nur einer Laune entsprungen sei; man konnte auch wirklich schwer sagen, ob er überhaupt bei Verstande war. Peters ging bald an Deck und kehrte erst gegen Mittag zurück; er brachte Augustus einen reichlichen Vorrat von gesalzenem Rindfleisch und Pudding, an denen ich mir später ebenfalls gütlich tat. Niemand anders kam während des Tages ins Vorderkastell; abends kroch ich in Augustus‘ Koje und schlief dort süß und tief bis Tagesanbruch; da hörte er ein Geräusch auf dem Verdeck, er weckte mich, und ich eilte in mein Versteck zurück. Als es völlig Tag war, fanden wir, daß Tiger sich fast gänzlich erholt hatte; er gab kein Zeichen von Wasserscheu, trank vielmehr, was wir ihm boten, mit sichtlichem Behagen. Während des Tages gewann er alle seine Kräfte und seinen guten Appetit zurück. Ohne Zweifel stand sein wunderliches Benehmen in keiner Beziehung zur Hundswut, es war vielmehr eine Folge der schädlichen Luft des Kielraums. Ich freute mich herzlich, daß ich darauf bestanden hatte, ihn mitzunehmen. Dieser Tag war der dreißigste Juni, der dreizehnte Tag nach der Abfahrt des »Grampus« von Nantucket.
Am zweiten Juli kam der Maat herunter, besoffen wie gewöhnlich und in ausgezeichneter Laune. Er trat in die Koje meines Freundes, gab ihm einen Klaps auf den Rücken und fragte ihn, ob er sich würde zu benehmen wissen, falls er freigegeben werde, und ob er verspräche, die Kajüte nicht mehr zu betreten. Natürlich antwortete Augustus mit Ja, worauf der Halunke ihn losband, nachdem er ihn genötigt hatte, Rum aus einer Flasche zu trinken, die er aus seiner Rocktasche zog. Nun stiegen beide hinauf, und während dreier Stunden bekam ich Augustus nicht zu Gesicht. Dann kam er mit der guten Nachricht, daß er auf der Brigg frei umhergehen dürfe, nur achter dürfe er sich nicht blicken lassen, und daß er wie bisher im Vorderkastell schlafen müsse. Er brachte mir auch ein gutes Essen und einen reichlichen Vorrat an Wasser. Die Brigg kreuzte noch in Erwartung des Schiffes von den Kapverden, und ein Segel war in Sicht, das für jenes gehalten wurde. Da sich in den folgenden Tagen nichts von Bedeutung ereignete, will ich hier in Tagebuchform so kurz wie möglich darüber berichten.
3. Juli. Augustus besorgte mir drei wollene Decken, so daß ich mir in meinem Versteck ein bequemes Lager einrichten konnte. Niemand außer ihm besuchte das Vorderkastell. Tiger machte sich‘s in der Koje dicht bei der Öffnung bequem und schlief sich gründlich aus, als ob er sich noch nicht ganz von seinem Unwohlsein erholt hätte. Gegen Abend warf sich eine Bö auf das Schiff, bevor man die Leinwand verringern konnte, so daß es beinahe gekentert wäre. Der Anprall hörte sofort wieder auf, und abgesehen von einem Riß im Fockmarssegel erlitt die Brigg keinen Schaden. Peters behandelte Augustus mit steter Freundlichkeit und unterhielt sich lange Zeit mit ihm über den Stillen Ozean und die Inseln, die er in dieser Gegend besucht hatte. Er fragte ihn, ob er nicht mit den Meuterern eine Art Entdeckungs- und Vergnügungsreise in jene Gegenden machen wolle, und fügte hinzu, die Leute gingen allmählich auf die Absichten des Unterschiffers ein. Augustus hielt es für angezeigt, darauf zu erwidern, daß er gern solche abenteuerliche Fahrt unternehmen würde, da sich nichts Besseres tun lasse, und daß alles und jedes einem Seeräuberleben vorzuziehen sei.
4. Juli. Das in Sicht gelangte Schiff erwies sich als eine kleine Brigg, die von Liverpool kam; man ließ sie unbelästigt ihres Weges ziehen.
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