Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
vergessen und machte einen höchst schauerlichen Eindruck.
Achtes Kapitel
Als ich mich jetzt in einem Stückchen Spiegel beim matten Scheine einer Art Blendlaterne betrachtete, erfüllte mich mein Aussehen mit einem Gefühl dumpfen Grauens, denn ich mußte der grausen Wirklichkeit gedenken, die ich verkörperte. Mich erfaßte ein heftiges Beben; ich konnte mich kaum entschließen, meine Rolle weiterzuspielen. Doch es war nötig, mit Entschiedenheit vorzugehen; Peters und ich begaben uns an Deck.
Wir fanden alles ruhig, hielten uns dicht an die Reling und schlichen uns nach dem Eingang der Kajüte. Er war nur teilweise geschlossen; man hatte ein plötzliches Zuschieben durch Einpflanzen von Holzklötzen auf der obersten Stufe zu verhindern getrachtet. Es war nicht schwer, einen Einblick in das Innere zu gewinnen. Welch ein Glück, daß wir nicht versucht hatten, sie zu überrumpeln, denn sie waren offenbar darauf gefaßt. Nur einer schlief, er lag gerade am Fuße der Treppe, eine Muskete neben sich. Die übrigen saßen auf Matratzen, die man aus den Kojen genommen und auf den Boden geworfen hatte. Sie waren in ernstem Gespräche begriffen, und obwohl sie, wie aus zwei leeren Krügen und einigen herumliegenden Zinnbechern zu schließen war, ein Saufgelage abgehalten haben mußten, schienen sie doch nicht so betrunken wie gewöhnlich. Alle besaßen Messer, einer oder zwei hatten Pistolen, und eine Menge Musketen lag nahebei in einer Koje.
Wir lauschten eine Zeitlang ihrem Gespräch, ehe wir einen bestimmten Entschluß faßten; denn wir waren nicht völlig im klaren. Wir hatten eben nur vor, ihrem Widerstand durch die Erscheinung von Rogers‘ Geist zu begegnen. Sie besprachen ihre Seeräuberpläne; wir konnten bloß aufschnappen, daß sie sich mit der Mannschaft eines Schuners »Horniß« vereinigen und, wenn möglich, den Schuner selbst in ihre Hände bekommen wollten; doch war dies nur als Vorspiel zu einem größeren Unternehmen, dessen Einzelheiten uns allen entgingen, gedacht.
Einer der Leute sprach von Peters, worauf der Maat ihm eine leise, für uns unverständliche Antwort gab und dann laut hinzufügte, er könne nicht recht verstehen, weshalb der stets mit dem Kapitänsbengel im Vorderkastell stecke, und nach seiner Meinung sollten die beiden über Bord, je eher, desto besser. Darauf erfolgte keine Antwort, doch konnten wir wohl bemerken, daß die Andeutung bei der ganzen Bande, besonderes aber bei Jones, lebhaftes Verständnis fand. Eine große Aufregung bemächtigte sich meiner, die um so stärker war, als ich sehen mußte, daß weder Augustus noch Peters einen Entschluß zu fassen imstande waren. Doch beschloß ich bei mir, mein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen und mich nicht durch einen Anfall von Verzagtheit überwältigen zu lassen.
Das entsetzliche Geräusch des im Takelwerk heulenden Sturmes und der über Deck hinspülenden See ließ uns nur in kurzen Pausen verstehen, was dort unten gesprochen wurde. So hörten wir einmal deutlich, wie der Maat zu einem der Leute sagte, er möge nach vorn gehen und die verdammten Tölpel in die Kajüte beordern, wo er ein Auge auf sie haben könne, denn er wolle an Bord der Brigg keine Geheimbündelei dulden. Zu unserm Glück stampfte das Schiff in diesem Augenblick so heftig, daß sein Befehl nicht sofort zur Ausführung gelangen konnte. Der Koch stand von seiner Matte auf, um uns zu holen, da warf ihn ein fürchterlicher Stoß, von dem ich erwartete, er würde die Masten entwurzeln, kopfüber gegen eine der Kabinentüren an Backbord, sprengte diese auf und rief noch weiter Verwirrung hervor. Glücklicherweise wurde keiner von unserer Partei aus seiner Stellung geschleudert, und wir hatten Zeit, uns rasch ins Vorderkastell zurückzuziehen und einen eiligen Kriegsplan zu schmieden, bevor der Bote erschien oder vielmehr den Kopf zur Kajütenluke herausstreckte, denn er kam nicht an Deck. Von hier konnte er nicht wahrnehmen, daß Allen fehlte, und er brüllte daher diesem, wie er glauben mußte, die Befehle des Schiffers zu. »Wohl, wohl!« rief Peters mit verstellter Stimme, und der Koch ging sofort unter Deck, ohne zu ahnen, daß etwas nicht in Ordnung sei.
Jetzt begaben sich meine Gefährten kühnlich nach der Kajüte, Peters schloß die Tür in der Art, wie er sie vorgefunden hatte. Der Maat empfing ihn mit erheuchelter Freundlichkeit und sagte Augustus, da er sich letzthin so gut geführt hätte, dürfe er von nun an in der Kajüte wohnen und in
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