Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
der Gedanke aufstieg, ob man nicht auf die abergläubische Furcht und das schlechte Gewissen des Maats einwirken könnte. Man wird sich erinnern, daß einer von den Leuten, Rogers, am Morgen starb, nachdem er offenbar vergifteten Grog getrunken hatte. Peters wenigstens hielt an dieser Anschauung fest, für die er unerschütterliche Gründe besaß; er wollte sie uns jedoch nicht sagen, was wiederum mit seinem sonstigen wunderlichen Wesen in Zusammenhang gebracht werden muß. Ob er nun bessere Gründe hatte als wir, um den Maat zu verdächtigen, bleibe dahingestellt; wir pflichteten seinem Verdacht bei und beschlossen, in diesem Sinne zu handeln.
Rogers war um elf Uhr vormittags unter heftigen Krämpfen verschieden, und sein Körper bot wenige Minuten nach dem Eintritt des Todes eines der grausigsten und widerwärtigsten Schauspiele, deren ich mich überhaupt entsinnen kann. Der Magen war unförmig aufgeschwollen, wie der eines Ertrunkenen, der lange im Wasser gelegen hat. Das gleiche war mit den Händen der Fall, während das Gesicht eingeschrumpft, runzelig und von kalkweißer Farbe war, die nur durch zwei oder drei hochrote Flecke belebt wurde, die an jene gemahnten, welche die Gesichtsrose erzeugt; einer dieser Flecke zog sich über das ganze Gesicht und bedeckte ein Auge wie mit einem Bande von rotem Samt. In diesem greulichen Zustand war der Leichnam mittags aus der Kajüte heraufgebracht worden, um über Bord geworfen zu werden, als der Maat, der ihn jetzt zum ersten Male sah, entweder von Gewissensbissen heimgesucht oder von der Furchtbarkeit des Anblicks erschreckt, Befehl erteilte, den Toten in eine Hängematte zu nähen und die gewöhnlichen Zeremonien eines Begräbnisses zur See abzuhalten. Als er dies angeordnet hatte, stieg er hinunter, als wolle er den ferneren Anblick seines Opfers meiden. Während man sich anschickte, seinen Befehl auszuführen, begann der Sturm mit aller Wut zu toben, und die Leute mußten von ihrem Vorhaben abstehen. Der Leichnam blieb sich selbst überlassen und wurde in die Speigatten an Backbord geschwemmt, wo er noch zur Stunde, von der ich spreche, mit den rasenden Stößen der Brigg hin und her kollerte.
Nachdem wir über unseren Plan einig geworden, gingen wir so rasch wie möglich an die Ausführung; Peters ging an Deck und wurde, wie er es vorhergesehen hatte, sofort von Allen angeredet, der mehr zur Bewachung des Vorderkastells als zu irgendeinem anderen Zwecke dort postiert zu sein schien.
Das Los dieses Halunken war schnell entschieden: denn Peters, der sich ihm nachlässig, als ob er ihn ansprechen wollte, genähert hatte, packte ihn an der Kehle und schleuderte ihn über Bord, bevor er einen einzigen Schrei auszustoßen vermochte. Dann rief er uns herauf. Unsere erste Maßnahme war, nach etwas zu suchen, das einer Waffe glich; dabei mußten wir die größte Vorsicht üben, denn es war unmöglich, auch nur einen Augenblick auf dem Verdeck zu stehen, sobald man sich nicht festhielt, und heftige Sturzseen brachen bei jedem Tauchen des Schiffes über es herein. Auch war es unerläßlich, daß wir uns beeilten, denn jede Minute konnte der Maat den Befehl zum Pumpen geben, da die Brigg sich offenbar immer stärker mit Wasser füllte. Nach einigem Suchen glaubten wir nichts Passenderes finden zu können als die Griffe der Pumpen; Augustus nahm einen, ich den andern. Nun beraubten wir den Leichnam seines Hemdes und warfen ihn ins Meer. Peters und ich gingen hinunter, Augustus hielt Wache auf dem Verdeck, und zwar gerade dort, wo Allen gestanden hatte, mit dem Rücken gegen den Kajüteneingang, so daß, falls einer von der Bande herauskäme, er denken mußte, es sei der ausgestellte Posten.
Sobald ich unten war, begann ich mich als Rogers‘ Geist zu verkleiden. Das Hemd kam uns sehr zustatten, es war von merkwürdigem Schnitt und Aussehen, eine Art Weiberhemd, das der Tote über seinen Kleidern getragen hatte. Es war aus blauem Baumwollenzeug, mit breiten weißen Streifen. Ich zog es über und versah mich dann mit einem falschen Bauch, in Nachahmung der gräßlichen Verunstaltung des aufgedunsenen Leichnams. Das geschah durch Vollstopfen mit Bettüchern; dann zog ich ein paar weißwollene Handschuhe an und füllte sie mit den ersten besten Fetzen, die ich finden konnte. Peters schminkte mich sodann, indem er mir das Gesicht zuerst tüchtig mit Kalk einrieb und dann mit Blut, das er einer Schnittwunde am Finger entnahm, vollkleckste. Der Streifen über dem Auge wurde nicht
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