Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
Sehnsucht der Dämmerung entgegen, bei deren Licht wir die Brigg durch Kappen des Großmastes zu erleichtern gedachten.
    Auf diese Art verging eine Nacht voll schrecklicher Angst und Ermüdung; und als der Tag endlich dämmerte, hatte der Sturm nicht im geringsten abgenommen noch waren irgendwelche Anzeichen seines baldigen Nachlassens vorhanden. Nun schleiften wir die Leichname aufs Verdeck und warfen sie über Bord. Unsere nächste Sorge war, den Großmast loszuwerden. Nachdem die nötigen Vorbereitungen getroffen waren, griff Peters den Mast an (er fand Äxte in der Kajüte), während wir andern an den Stangen und Taljereepen standen. Als dann die Brigg wieder mächtig nach Lee rollte, wurde Befehl gegeben, die Luvwanten zu kappen, und die ganze Masse Holzes und Takelwerkes purzelte in die See, ohne die Brigg im geringsten zu beschädigen. Jetzt fanden wir, daß sie nicht mehr so schwer arbeitete wie zuvor; aber unsere Lage war noch immer sehr heikel, und trotz der größten Anstrengungen vermochten wir mit Hilfe beider Pumpen das Leck nicht zu schwächen. Der geringe Beistand, den Augustus uns gewähren konnte, kam tatsächlich nicht in Betracht. Um unsere Not noch zu mehren, warf sich eine schwere See von der Windseite auf das Schiff und drehte es um einige Striche vom Wind ab, und ehe die Brigg ihre Richtung zurückerlangen konnte, brach sich eine zweite Sturzsee mit voller Wucht über ihr und warf sie heftig auf die Seite. Jetzt rutschte der ganze Ballast nach Lee, die Verstauung hatte sich längst in Willkür aufgelöst, und einen Augenblick dachten wir, nichts könne uns vor dem Kentern bewahren. Doch alsbald richteten wir uns teilweise auf; immerhin blieb jedoch der Ballast an Backbord, so daß wir zu stark auf die Seite neigten, um an den Gebrauch der Pumpen denken zu dürfen, mit denen wir aber überhaupt nicht recht viel hätten anfangen können, da unsere Hände durch die fürchterliche Arbeit wie geschunden waren und auf abscheuliche Art zu bluten begannen.
    Gegen Parkers Rat machten wir uns jetzt daran, auch den Fockmast zu kappen, und brachten dies endlich nach großer Mühe zustande. Beim Sturz über Bord nahm der zerstörte Mast auch das Bugspriet mit, so daß wir uns jetzt nur noch auf einem Rumpf befanden.
    Bis dahin hatten wir Ursache, uns zu freuen, daß unser Langboot nicht mitgegangen war und keinerlei Schaden durch die furchtbaren Sturzseen erlitten hatte. Aber die Freude blieb nicht von langer Dauer; denn nach dem Verlust des Fockmastes samt dem Focksegel, der die Brigg noch einigermaßen aufgehalten hatte, stürzten die Seen ohne Hindernis über uns weg, und in fünf Minuten war das Deck vom Heck bis zum Bug klar gefegt und sogar das Gangspill in Trümmer geschlagen. Ein jämmerlicherer Zustand ließ sich kaum erträumen.
    Um die Mittagszeit schien der Sturm nachlassen zu wollen; aber das war nur ein Wahn, denn nach wenigen ruhigen Minuten raste er mit verdoppelter Gewalt. Von vier Uhr nachmittags ab war‘s unmöglich, aufrecht zu stehen, und als die Nacht über uns hereinsank, hatte ich kaum den Schatten einer Hoffnung, daß die Brigg sich bis zum Morgen zusammenhalten könne.
    Um Mitternacht lagen wir sehr tief im Wasser; es stand jetzt schon im Zwischendeck. Bald darauf ging das Ruder fort; die See, die es wegriß, hob das Achterteil des Schiffes völlig aus dem Wasser, gegen das es beim Zurückstürzen mit einem Prall anschlug, als wäre es auf den Strand geworfen worden. Wir hatten alle auf das stramme Standhalten des Ruders gerechnet, denn es war so stark befestigt, wie ich es niemals an einem Steuerruder wahrgenommen habe. Eine Reihe von eisernen Haken begleitete den Hauptbalken, eine gleiche Reihe den Hintersteven. Durch diese Haken lief eine sehr dicke Stange aus Schmiedeeisen; das Ruder hielt sich somit fest an dem Steven und bewegte sich zugleich frei an der Eisenstange. Die ungeheure Gewalt der See, die es abriß, kann man sich vielleicht ausmalen, wenn ich sage, daß die Eisen am Hintersteven vollständig aus dem starken Holz herausgezogen wurden.
    Wir hatten kaum Zeit, nach diesem grauenhaften Stoß Atem zu schöpfen, da brach eine der gewaltigsten Wogen, die ich je gesehen habe, geradeswegs über uns herein, fegte den Kajütenzugang weg, drang durch die Luken und füllte das Schiff bis zum Rande mit Wasser.

Neuntes Kapitel
    Glücklicherweise hatten wir kurz vor Anbruch der Nacht alle vier uns an die Überreste des Gangspills angebunden, indem wir auf diese Art so flach wie

Weitere Kostenlose Bücher