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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Zukunft einer der Ihrigen sein. Dann füllte er einen Becher halb mit Rum und drängte ihn meinem Freund auf. All dies hörte und sah ich, denn ich folgte meinen Genossen zur Kajütentür und nahm dort meinen früheren Posten ein. Ich hatte zwei Pumpengriffe mitgebracht, einen versteckte ich nahe dem Eingang, damit er im Notfalle bei der Hand sei.
    Ich trachtete jetzt, alles, was drinnen vorging, möglichst gut zu beobachten, und suchte meine Nerven recht straff zu halten, da ich bereit sein mußte, auf ein verabredetes Zeichen von Peters mich hinunterzubegeben, mitten unter die Meuterer. Jener verstand es, das Gespräch alsbald auf die blutigen Taten, die während der Meuterei geschehen waren, zu bringen, und verführte die Leute allmählich dazu, von tausend abergläubischen Vorstellungen zu reden, die unter den Seeleuten verbreitet sind. Ich hörte nicht ein jedes Wort, das er sagte, aber ich las die Wirkung des Gespräches aus den Gesichtern der Anwesenden. Der Maat war offenbar stark erregt, und als einer den schrecklichen Anblick erwähnte, den Rogers‘ Leiche bot, da schien er einer Ohnmacht nahe zu sein. Peters fragte ihn jetzt, ob es nicht besser wäre, den Toten über Bord zu werfen; ihn in den Speigatten herumzappeln zu sehen, sei doch zu gräulich. Da rang der Schurke förmlich nach Atem und wendete den Kopf langsam nach den Gefährten um, als flehe er, einer von ihnen möge doch hinaufgehen und das Werk vollbringen. Aber keiner rührte sich, und es war klar, daß die ganze Gesellschaft sich in höchster Erregung befand. Jetzt gab Peters das Zeichen. Sofort stieß ich die Tür auf, stieg, ohne eine Silbe zu sprechen, die Treppe hinunter und stand aufrecht unter der Bande.
    Über die furchtbare Wirkung dieses plötzlichen Erscheinens darf man sich nicht wundern, wenn man alle Umstände in Betracht zieht. Gewöhnlich bleibt in einem solchen Falle ein leise glimmender Zweifel im Gemüt des Zuschauers, ob denn das Geschaute auch wirklich sei; eine schwache Hoffnung, daß er das Opfer einer Neckerei, ob die Erscheinung nicht wirklich ein Gast aus dem alten Reiche der Schatten sei. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, solch blasser Zweifel sei mit jeder derartigen Heimsuchung verknüpft, und das vernichtende Grauen, das zuweilen erzeugt wird, sei sogar in den qualvollsten Fällen mehr eine Art ahnenden Schauderns vor der Möglichkeit einer tatsächlichen Erscheinung als die Frucht wirklichen Geisterglaubens. Aber in dem Falle, von dem ich hier berichte, wird man wohl einsehen, daß in den Gemütern der Meuterer nicht der Schatten eines Grundes für irgendwelchen Zweifel sein konnte, Rogers‘ Erscheinung sei nicht wirklich sein neubelebter, abscheuerregender Leichnam oder das gespenstische Abbild davon. Die vereinsamte Lage des Schiffes, seine Unzugänglichkeit infolge des Orkans, sie schränkten die Möglichkeiten eines Betruges in so enge Grenzen ein, daß die Meuterer diese Möglichkeiten sofort überblicken konnten. Sie waren jetzt vierundzwanzig Tage auf See gewesen, ohne eine andere Verbindung mit irgendeinem Schiffe außer einem kurzen Gespräch durchs Rohr. Auch war die ganze Mannschaft – wenigstens alle, deren Anwesenheit an Bord den Meuterern bekannt war – in der Kajüte versammelt, mit Ausnahme des als Wache hingestellten Allen, dessen Riesengestalt (er maß sechs Fuß und sechs Zoll) ihren Augen zu vertraut war, als daß sie nur einen Augenblick geglaubt hätten, er sei der Darsteller des Geistes. Man denke sich dazu die schreckeinflößende Gewalt des Sturmes, den Einfluß der von Peters in Fluß gebrachten Unterhaltung, den tiefen Eindruck, den die Scheußlichkeit des wirklichen Leichnams am Morgen auf die Phantasie der Leute gemacht hatte, die vortreffliche Verkörperung, die ich ihm angedeihen ließ, die unsichere und flackernde Beleuchtung, in der sie mich erblickten, und wie der Schein der Kajütenlampe, die heftig hin und her schwankte, wechselnd und unbestimmt auf meine Gestalt fiel – so wird sich niemand wundern, daß die Wirkung noch alle unsere Erwartungen übertraf. Der Maat sprang von seiner Matratze auf und fiel dann, ohne eine Silbe zu stammeln, auf den Boden der Kajüte. Er war tot, und seine Leiche wurde wie ein Klotz durch das schwere Stampfen des Schiffes nach Lee gerollt. Von den sieben Übrigbleibenden gewannen zunächst nur drei ihre Geistesgegenwart. Die vier andern saßen eine Zeitlang, als wären sie festgewurzelt – die beklagenswertesten Opfer des

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