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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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ertragen. Das betrübte uns sehr; denn es war völlig unnütz, an eine Hilfeleistung zu denken, solange die Seen in dieser Stärke über uns hinweggingen. Wir beschworen ihn, seine Leiden heldenmütig zu ertragen, und versprachen, ihm bei der ersten Gelegenheit Erleichterung zu verschaffen. Er antwortete, es werde bald zu spät sein; es werde alles vorüber sein, bevor wir ihm helfen könnten. Er stöhnte noch eine Zeitlang und lag dann einige Minuten still, so daß wir annahmen, er sei tot.
    Als der Abend herannahte, war die See so stark gefallen, daß etwa innerhalb fünf Minuten immer nur eine Welle von der Windseite her den Rumpf überspülte, und der Sturm hatte nachgelassen, obgleich er noch immer scharf genug blies. Seit mehreren Stunden hatte ich keinen meiner Gefährten sprechen hören, und ich rief jetzt nach Augustus. Er antwortete mit so schwacher Stimme, daß ich ihn nicht verstehen konnte. Dann redete ich Peters und Parker an; keiner von beiden gab eine Antwort.
    Kurze Zeit nachher verfiel ich in eine Art Bewußtlosigkeit; die lieblichsten Bilder entstanden in meiner Phantasie: windbewegte Baumkronen, wogende Felder reifenden Getreides, Aufzüge von anmutigen Tänzerinnen, Reitertruppen und andere Gebilde. Ich erinnere mich jetzt, daß in allem, was ich erblickte, der leitende Gedanke Bewegung war. So träumte ich niemals von einem festwurzelnden Gegenstand, von einem Haus oder Berg oder dergleichen, sondern Windmühlen, Schiffe, große Vögel, Luftballons, Reiter, Wagen, die wahnsinnig schnell fuhren, und ähnliche bewegliche Dinge zogen in endloser Folge an mir vorüber. Als ich aus diesem Zustand erwachte, mochte die Sonne nach meinem Ermessen etwa seit vier Stunden aufgegangen sein. Es kostete mich viel Mühe, die verschiedenen Umstände, die mit meiner Lage verknüpft waren, ins Gedächtnis zurückzurufen, und ich blieb eine Zeitlang der festen Meinung, daß ich mich noch im Kielraum der Brigg befände und daß mein Nachbar Parker der Hund Tiger sei. Als ich endlich vollkommen in den Besitz meiner Sinne kam, fand ich, daß der Wind nur mehr als gemäßigte Brise wehte und die See viel ruhiger geworden war; nur mittschiffs spülte sie noch übers Deck hin. Mein linker Arm war von den Fesseln losgekommen und hatte mehrere Verletzungen am Ellbogen erlitten; mein rechter war eingeschlafen, Hand und Gelenke waren geschwollen vom Druck des Seils, das sich mir um die Schulter geschlungen hatte. Ein anderes Tau, das meine Hüften umfaßte, hatte sich so fest zusammengezogen, daß ich große Schmerzen litt. Ich sah mich nach meinen Gefährten um; Peters lebt noch, obwohl eine dicke Leine so gewaltsam um seinen Körper gewickelt war, daß seine Gestalt wie in zwei Hälften zerschnitten schien. Als ich mich rührte, machte er eine matte Bewegung und deutete nach dem Strick. Augustus gab kein Lebenszeichen und lag unter den Splittern des Gangspills nahezu krummgebogen. Parker sprach zu mir und fragte, ob ich nicht Kraft genug besäße, ihn aus seiner Lage zu befreien; wenn ich mich dazu aufraffen könnte, ihn loszubinden, dann wäre noch Rettung möglich, sonst müßten wir alle zugrunde gehen. Ich bat ihn, Mut zu schöpfen, ich würde versuchen, ihn zu befreien. In meiner Hosentasche fand ich mein Messer, und nach mehreren vergeblichen Versuchen klappte ich es endlich auf. Dann gelang es mir, mit meiner Rechten die Linke loszubinden, und nachher schnitt ich die übrigen Taue durch, die mich noch hielten. Als ich aber versuchte, mich vom Fleck zu bewegen, ließen mich meine Füße völlig im Stich; ich konnte nicht aufstehen, konnte auch meine rechte Hand nicht weiter rühren. Ich sagte dies Parker; er riet mir, ein paar Minuten still zu liegen, indem ich mich mit der Linken am Gangspill festhalten sollte. So begann das Blut bald wieder zu kreisen, die Betäubung wich; ich konnte erst ein Bein bewegen, dann das andere; bald darauf erhielt ich den Gebrauch des rechten Armes zurück. Ich kroch nun vorsichtig auf Parker zu, und bald hatte ich alle seine Fesseln durchschnitten; binnen kurzem erhielt auch er teilweise den Gebrauch seiner Glieder. Jetzt eilten wir, Peters von seiner Leine zu befreien. Sie hatte den Gürtel seiner wollenen Beinkleider samt zwei Hemden durchgerieben und die Weichen verwundet, die nach Entfernung des Strickes reichlich zu bluten begannen. Doch schien er sofort erleichtert, sprach ein paar Worte und bewegte sich viel weniger mühsam als Parker und ich; das hing offenbar mit dem

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