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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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möglich auf dem Verdeck lagen. Nur diese Maßregel rettete uns vor dem Tode. Wir waren alle mehr oder weniger betäubt durch die ungeheure Wasserlast, die sich auf uns gewälzt hatte und erst von uns abflutete, als wir nahezu erschöpft waren. Sobald ich atmen konnte, rief ich nach meinen Gefährten. Nur Augustus gab eine Antwort, und die war: »Mit uns ist es zu Ende, möge sich Gott unserer Seelen erbarmen!« Nach und nach erhielten die übrigen ihre Sprache zurück; sie suchten uns Mut einzuflößen, da noch Hoffnung vorhanden sei, denn es sei nach der Art der Ladung unmöglich, daß die Brigg unterginge, und beinahe sicher, daß der Sturm am Morgen abflauen würde. Diese Worte belebten mich aufs neue; denn, es mag ja sonderbar erscheinen, ich hatte bisher völlig übersehen, daß ein mit leeren Tranfässern beladenes Schiff nicht sinken könne, gerade das Untergehen war mir als unmittelbarste Gefahr vor Augen gestanden. Als mich nun neue Hoffnung erfüllte, eilte ich, nach Kräften die Fesseln, die mich ans Gangspill banden, zu verstärken, und sah bald meine Kameraden in gleicher Absicht beschäftigt. Die Nacht war so finster wie nur möglich, das entsetzliche Kreischen, die tosende Verwirrung um uns her spotteten jeder Beschreibung. Unser Verdeck lag in Meereshöhe; besser gesagt, es umringte uns ein hochgetürmter Schaumkamm, von dem jeden Augenblick ein Teil auf uns herabströmte. Es ist nicht zuviel behauptet: unsere Köpfe waren kaum zwei bis drei Sekunden richtig außer Wasser. Obwohl wir dicht beisammenlagen, so konnte doch keiner den andern sehen noch irgendeinen Teil des Schiffes wahrnehmen, auf dem wir so toll herumgewirbelt wurden. Von Zeit zu Zeit riefen wir einander zu, indem wir auf diese Weise die Hoffnung zu erfrischen, den Mut zu stärken und denen Trost zu spenden suchten, die seiner am meisten bedurften. Der Schwächezustand meines Freundes erweckte unser aller Teilnahme; da er mit seinem zerfleischten Arm sich schwerlich sehr fest hatte anschnallen können, erwarteten wir jeden Moment, ihn über Bord gehen zu sehen; doch war es unmöglich, ihm irgendwie Beistand zu leisten. Zum Glück war seine Lage etwas mehr gesichert als die der übrigen; sein Oberkörper lag unter einem Teil des zertrümmerten Gangspills, und so wurde die Heftigkeit der Seen, die sich über ihn ergossen, einigermaßen abgeschwächt. In einer andern Lage als der, in die ihn, nachdem er dem Ärgsten ausgesetzt gewesen war, der Zufall gebracht hatte, hätte er ohne Zweifel den neuen Tag nicht erlebt. Infolge der starken Neigung der Brigg konnten wir nicht so leicht heruntergeschwemmt werden, wie es sonst der Fall gewesen wäre. Der Hiel war, wie ich schon sagte, an Backbord, und das halbe Verdeck lag beständig unter Wasser. Daher hielt die Schiffswand die über Steuerbord hereinbrechenden Seen auf, so daß sie uns nur geteilt erreichten, während wir flach auf unsern Gesichtern lagen, und die über Backbord kommenden Seen waren nicht imstande, uns aus unserer Fesselung herauszuspülen.
    In dieser schaudervollen Lage blieben wir bis zum Anbruch des Tages, der uns die Schrecknisse um uns her aufs deutlichste zeigte. Die Brigg war nur noch ein Stück Holz, ein Spiel der übermütigen Wellen; der Sturm schien eher noch zu wachsen. Es war ein vollständiger Orkan, und es schien auf Erden keine Rettung mehr geben zu wollen.
    Mehrere Stunden lang klammerten wir uns schweigend fest, jeden Augenblick gewärtig, daß entweder unsere Riemen und Seile zerreißen, die Reste des Gangspills über Bord gehen würden oder daß eine der titanischen Seen, die uns auf allen Seiten umbrüllten, den Rumpf so tief unter Wasser drücken möchte, daß wir vor seinem Wiederauftauchen ertrunken wären. Durch die Gnade Gottes wurden wir jedoch vor diesen unmittelbar drohenden Schrecken bewahrt, und gegen Mittag stärkte uns der Schein der lieben Sonne. Bald darauf empfanden wir ein merkliches Nachlassen des Sturmes, und jetzt endlich, das erstemal seit dem vorausgegangenen Abend, tat Augustus den Mund auf; er fragte Peters, der ihm zunächst lag, ob er glaube, daß Rettung noch möglich sei. Zuerst erfolgte keine Antwort, wir alle dachten schon, der Mestize sei ertrunken; plötzlich aber begann er zu unserer großen Freude zu sprechen, obwohl in sehr mattem Ton: er habe furchtbare Schmerzen, die Fessel schneide ihm gerade in den Magen ein, und wenn er sie nicht lockern könnte, müßte er sterben, es sei ihm unmöglich, seine Qualen noch länger zu

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