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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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sanken, der von lautem, röchelndem Atem begleitet war.
    Ich befand mich jetzt so gut wie allein an Bord, und meine Betrachtungen waren, das läßt sich wohl denken, von der bängsten und düstersten Art. Keine Aussicht bot sich mir außer einem langsamen Hungertod oder im besten Fall der Vernichtung durch den ersten Sturm, der sich erheben würde; denn in unserm gegenwärtigen Zustand durften wir nicht hoffen, einen neuen Anprall zu überleben.
    Unerträglich fast war der nagende Hunger, den ich jetzt empfand, und ich fühlte mich fähig, zu seiner Befriedigung alles und jedes zu tun. Mit dem Messer schnitt ich ein Stückchen vom Lederkoffer ab und versuchte es zu essen; aber es war mir unmöglich, auch nur einen Bissen hinabzuwürgen, obwohl mir schien, das Kauen und Ausspucken kleiner Teilchen gewähre mir Erleichterung. Gegen Abend erwachten meine Genossen, einer nach dem andern, ein jeder in einem unbeschreiblichen Zustand von Schwäche und Grausen, einer Folge des Weingenusses. Der Rausch war verflogen, sie zitterten wie im heftigsten Schüttelfrost, sie schrien jämmerlich nach Wasser. Ihr Zustand ergriff mich auf die schmerzlichste Art, zugleich aber freute ich mich, daß eine Reihe günstiger Umstände mich vor übermäßigem Trinken bewahrt hatte; denn sonst hätte ich ihre höchst traurige, höchst quälende Verfassung teilen müssen. Doch beunruhigte und erschreckte mich ihr Benehmen nicht wenig; sie waren, trat nicht eine unvorhergesehene Glückswendung ein, außerstande, mich in der Arbeit für unsere gemeinsame Rettung zu unterstützen.
    Ich hatte den Gedanken noch nicht völlig aufgegeben, etwas dort unten aufzugabeln; aber der Versuch konnte nicht wiederholt werden, solange keiner von ihnen sich genug beherrschte, um mir durch Halten des Taues beizustehen. Parker schien etwas mehr bei Sinnen als die übrigen; ich bemühte mich nach Kräften, ihn aufzurütteln. Auf die Wirkung eines tüchtigen Seebades vertrauend, befestigte ich um seinen Körper ein Tau und führte ihn dann (er ließ alles ruhig und gleichgültig mit sich geschehen) zum Eingang der Kajüte, stieß ihn hinein und zog ihn sofort wieder heraus. Ich hatte alle Ursache, mich zu diesem Einfall zu beglückwünschen; denn er zeigte sich belebt und erfrischt und fragte mich in ganz vernünftigem Ton, weshalb ich ihn denn so behandelt hätte. Nachdem ich ihm meine Absicht erklärt hatte, dankte er mir herzlich, sagte, das Eintauchen habe ihm wohlgetan, und sprach dann ganz verständig über unsere Lage. Wir beschlossen jetzt, Augustus und Peters auf gleiche Weise zu behandeln, taten es sofort, und auch sie fühlten sich durch die Berührung mit dem kalten Element belebt. Der Einfall war eine Frucht meiner Lektüre; ich hatte einmal in ärztlichen Büchern über die gute Wirkung einer Dusche auf Patienten gelesen, die unter » mania a potu« litten.
    Nun konnte ich den Gefährten das Seil übergeben; ich tauchte noch drei-, viermal in die Kajüte, obwohl es jetzt ganz finster war und eine sanfte, doch lange Dünung von Norden her den Rumpf erschütterte. So brachte ich allmählich herauf: zwei Klappmesser, einen großen leeren Krug und eine Decke; doch war nichts Eßbares dabei. Ich setzte meine Versuche bis zur gänzlichen Erschöpfung fort, fand aber weiter nichts. Während der Nacht beschäftigten sich Peters und Parker in der gleichen Art; aber es wurde nichts gefunden, und so gaben wir denn verzweifelnd diese Bemühungen auf, da wir uns vergebens unserer letzten Kräfte beraubten.
    Den Rest der Nacht verbrachten wir in einem Zustand der tiefsten leiblichen und seelischen Todesangst. Endlich dämmerte der Morgen des Sechzehnten, und wir blickten uns eifrig in der Runde nach Hilfe um, aber ohne Erfolg. Die See war noch glatt, nur, wie gestern, mit einer langen Dünung von Norden her. Seit sechs Tagen hatten wir nichts genossen außer jener Flasche Portwein, und es war klar, daß wir nicht mehr lange aushalten konnten, falls sich nicht irgend etwas erlangen ließ. Nie sah ich so ausgemergelte menschliche Wesen, wie Peters und Augustus es jetzt waren. Wären sie mir auf dem Land begegnet, nie und nimmer hätte ich sie erkannt. Der Charakter ihrer Züge war so vollständig umgewandelt, daß ich kaum zu glauben vermochte, sie seien dieselben Menschen, in deren Gesellschaft ich mich vor ein paar Tagen befand. Obgleich furchtbar heruntergekommen und so schwach, daß er seinen Kopf kaum von der Brust aufheben konnte, schien Parker doch nicht so

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