Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
gut es eben ging. Mir gelang das über alle Erwartung, ich schlief, bis meine Gefährten, die minder glücklich gewesen waren, mich bei Tagesanbruch weckten, um mich an neuen Versuchen, etwas von den Vorräten im Schiffsraum zu bergen, teilnehmen zu lassen.
Jetzt herrschte eine große Windstille; die See war glatter, als ich sie je gesehen habe, das Wetter warm und angenehm. Die Brigg war außer Sicht. Wir begannen damit, daß wir noch eine der Ketten abrissen und beide an Peters‘ Füßen befestigten; er machte wiederum Versuche, die Tür der Vorratskammer zu erreichen, da er es für möglich hielt, sie aufzubrechen; und dafür war in der Tat eine Möglichkeit vorhanden, da der Schiffsrumpf sich jetzt stärker aufgerichtet hatte. Es gelang ihm, die Tür zu erreichen; dort löste er eine der Ketten vom Fuß und suchte damit den Eingang zu erzwingen, was aber trotz aller Anstrengungen ohne Erfolg blieb, da das Holz sich fester zeigte, als wir dachten. Der lange Aufenthalt unter Wasser hatte ihn vollkommen erschöpft; es war unbedingt nötig, daß ein anderer seinen Platz einnahm. Parker meldete sich freiwillig, konnte jedoch nach drei fruchtlosen Versuchen nicht einmal bis zur Tür gelangen. Augustus mit seinem wunden Arm blieb natürlich ausgeschlossen, da er die Tür, auch wenn er sie erreicht hätte, nicht würde aufsperren können, und so wurde die Aufgabe mir übertragen. Peters hatte eine der Ketten im Gang gelassen, und beim Tauchen erkannte ich, daß ich nicht genügend Kraft besaß, mich unten im Gleichgewicht zu halten. Ich beschloß daher, zunächst die andere Kette zurückzuerobern. Indem ich den Boden befühlte, stieß ich auf etwas Hartes, das ich sofort erfaßte, obwohl ich keine Zeit hatte, die Natur des Gegenstandes festzustellen. Es war eine Flasche, und man kann sich unsere Freude ausmalen, wenn ich sage, daß sie mit Portwein gefüllt war. Wir dankten Gott für diese willkommene und ermutigende Hilfe, öffneten den Kork mit meinem Taschenmesser und taten ein jeder einen bescheidenen Schluck. Die Wärme, die Kraft, die Belebung, die wir daraus schöpften, spendeten uns unermeßlichen Trost. Dann korkten wir die Flasche sorgfältig zu und hingen sie mit einem Taschentuch so auf, daß sie nicht zerbrochen werden konnte.
Eine Weile nach dieser glücklichen Entdeckung ruhten wir erst, dann stieg ich abermals hinab und fand nun die Kette, mit der ich emportauchte. Ich befestigte sie an mir und tauchte ein drittes Mal, bis ich überzeugt war, daß in dieser Lage keine Macht der Welt die Tür der Vorratskammer aufzubrechen vermöchte. Verzweifelnd kehrte ich um.
Jetzt schien kein Raum mehr für irgendwelche Hoffnung, und ich sah in den Zügen meiner Gefährten, daß sie sich in ihr Schicksal ergeben wollten. Der Wein hatte offenbar eine Art Delirium in ihnen erzeugt, vor dem ich vielleicht durch mein Untertauchen bewahrt geblieben war. Sie redeten ohne Zusammenhang und von Dingen, die mit unserer Lage nichts zu tun hatten; Peters fragte mich wiederholt über Nantucket aus. Auch Augustus kam, wie ich mich erinnere, mit ernster Miene auf mich zu und bat mich, ihm einen Taschenkamm zu leihen, da sein Haar voller Fischschuppen sei, die er heraus haben wolle, bevor er an Land ginge. Parker erschien mir etwas vernünftiger; er riet mir, aufs Geratewohl in die Kajüte zu tauchen und das erste beste mit heraufzubringen. Ich stimmte zu, und nach einer Minute brachte ich einen kleinen Lederkoffer herauf, der Kapitän Barnard gehört hatte. Man öffnete ihn sofort in der Hoffnung, etwas zum Trinken oder Essen darin zu finden. Jedoch wir fanden nichts außer einem Rasiermesserkasten und zwei Leinenhemden. Wieder tauchte ich und kam unverrichteterdinge zurück. Wie mein Kopf über Wasser war, hörte ich auf dem Verdeck einen Krach und merkte alsbald, daß die Undankbaren meine Abwesenheit benutzt hatten, um den Rest des Weines auszutrinken; bei dem Versuch, die Flasche unbemerkt an ihren Platz zu hängen, war sie ihnen zerschellt. Ich machte ihnen Vorwürfe über ihre Herzlosigkeit. Augustus brach in Tränen aus. Die andern versuchten, die Sache als einen Spaß hinzustellen, und lachten – möge ich nie wieder solch Lachen sehen; die Verzerrung ihrer Gesichter war geradezu fürchterlich. In der Tat schienen ihre leeren Mägen eine heftige Wirkung des Weines begünstigt zu haben; sie waren im höchsten Grade berauscht. Mit größter Not veranlaßte ich sie zum Liegen, worauf sie bald in einen schweren Schlaf
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