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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Zustand unsres Geistes.
    Das Kentern der Brigg hätte trotz des Verlustes von Wein und Schildkrötenfleisch unsre Lage nicht beklagenswerter gemacht, als sie zuvor schon war, wären nicht unsre Regenfänger, die Bettücher und der Krug, unser Wasserbewahrer, verschwunden gewesen; denn die ganze Unterseite, vom Kiel bis drei Fuß innerhalb der Kniehölzer, bedeckten große Schiffsmuscheln in Menge, die eine köstliche und nahrhafte Speise boten. So war der Unfall in doppelter Hinsicht zu einer Wohltat geworden, obwohl wir ihn so gefürchtet hatten: er hatte uns Vorräte erschlossen, die für mehr als einen Monat reichen würden; und unsre körperliche Lage war um vieles bequemer geworden, da wir weit sicherer und mehr im Gleichgewicht waren als zuvor.
    Doch die Wasserfrage machte uns für alle Vorzüge dieser Wandlung der Verhältnisse völlig blind. Wir zogen unsere Hemden aus, um uns einen etwaigen Schauer sogleich zunutze machen zu können. Wir wollten sie wie jene Tücher brauchen; das Ergebnis würde freilich viel geringer sein, unter den günstigsten Umständen höchstens eine Viertelpinte auf einmal. Keine Spur von einer Wolke! Die Marter des Durstes kaum noch zu ertragen! In der Nacht war Peters ein Stündchen unruhigen Schlafes vergönnt, aber meine furchtbaren Qualen erlaubten mir nicht einen Augenblick erlösenden Schlummers.
    5. August. Eine sanfte Brise erhob sich und trieb uns durch eine große Menge Seetangs, in dem wir glücklicherweise elf kleine Krabben fanden, die uns ein paar köstliche Mahlzeiten verschafften. Ihre Schalen waren so dünn, daß wir sie essen konnten, und sie machten uns nicht so durstig wie die Kielmuscheln. Im Seetang waren keine Haifische, so wagten wir denn zu baden und blieben mehrere Stunden im Wasser; während dieser Zeit ließ unser Durst erheblich nach. Wir wurden sehr erfrischt; die Nacht war etwas besser, wir konnten beide ein wenig schlafen.
    6. August. An diesem Tag wurde uns die Gnade eines andauernden Regengusses zuteil, der vom Mittag bis in die Nacht währte. Wir vermißten aufs schmerzlichste unser Fäßchen und unseren Krug, denn wir hätten eines von ihnen füllen können, vielleicht beide. So löschten wir unseren brennenden Durst, indem wir die wassergetränkten Hemden auswrangen, wobei die willkommene Flüssigkeit uns in den Hals lief. Auf diese Art brachten wir den Tag hin.
    7. August. Gerade bei Tagesanbruch erspähten wir beide zu gleicher Zeit im Osten ein Segel, das offenbar auf uns zuhielt! Ein langgedehnter Freudenruf begrüßte den glorreichen Anblick, und sofort begannen wir, alle nur möglichen Zeichen zu geben, indem wir unsere Hemden in der Luft flattern ließen und so hoch sprangen, wie es unser elender Zustand gestattete, ja sogar mit aller Kraft unserer Lungen »Schiff ahoi!« riefen, obwohl es an fünfzehn Meilen entfernt war. Doch immer näher kam es unserem Wrack, und wir fühlten: hält es nur den jetzigen Kurs ein, so muß es endlich so nahe kommen, daß man unserer ansichtig werden kann. Eine halbe Stunde, nachdem wir es wahrgenommen hatten, konnten wir deutlich die Menschen auf dem Verdeck sehen. Es war ein länglicher, niedriger, etwas liederlich aussehender Schoner mit einem schwarzen Ball im Focksegel und, wie es schien, mit vollzähliger Bemannung. Nun packte uns die Angst, denn wenn es auch kaum möglich war, daß man uns nicht bemerkte, so schien es doch nicht ausgeschlossen, daß man uns unserem Schicksal überlassen würde. So unglaublich es sich anhören mag, es ist solche teuflische und barbarische Handlungsweise durchaus nichts Seltenes, und Geschöpfe, die sich zum Menschengeschlecht zählten, haben sich ihrer mehr als einmal schuldig gemacht. Von dieser Befürchtung jedoch sahen wir uns durch die Gnade Gottes aufs herrlichste befreit, denn mit einem Male gab es eine Bewegung auf dem Deck des fremden Schiffes, das alsbald die britische Flagge hißte und, unter halbem Wind segelnd, gerade auf uns zuhielt. In einer halben Stunde waren wir in seiner Kajüte. Es war die »Jane Guy« von Liverpool, Kapitän Guy, zum Zweck des Handels und Robbenfanges unterwegs nach der Südsee und dem Stillen Ozean.
    Vierzehntes Kapitel
    Die »Jane Guy« war ein stattlicher Toppsegelschoner von hundertundachtzig Tonnen. Sie war am Bug ungemein schlank gebaut und unter dem Wind, bei leidlichem Wetter, der schnellste Segler, den ich je gesehen habe. Doch zum Segeln auf rauher See war sie weniger geeignet, vor allem hatte sie für ein Schiff dieser

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