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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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dem Unglauben der Schnatterburger ein für allemal ein Ende bereitete und alle Materialisten, die sich vordem als Skeptiker aufspielten, zum orthodoxen Glauben ihrer Großmütter bekehrte.
    Dieses Ereignis, das ich nicht in unangebracht leichtfertigem Ton schildern möchte, trug sich im Sommer des Jahres 18.. zu. Herr Barnabas Schützenwerth, einer der wohlhabendsten und angesehensten Bürger der Stadt, wurde seit mehreren Tagen vermißt, und alle begleitenden Umstände führten zu dem Verdacht, daß ihm irgendwelche Gewalt angetan worden sei. – Herr Schützenwerth hatte Schnatterburg am Samstagmorgen in aller Frühe zu Pferde verlassen, mit der vorher geäußerten Absicht, nach der etwa fünfzehn Meilen entfernten Stadt zu reiten und am Abend desselben Tages wieder heimzukommen. Aber schon zwei Stunden nach dem Fortreiten kehrte das Pferd zurück, und zwar ohne Reiter, auch ohne die Satteltaschen, die ihm beim Ausritt auf den Rücken geschnallt gewesen waren. Dazu war das Tier verwundet und mit Schmutz bedeckt.
    All das rief bei den Freunden des Vermißten natürlich große Bestürzung hervor, und als er am Sonntagmorgen noch immer nicht zurückgekommen war, machte sich die gesamte Einwohnerschaft wie ein Mann auf die Suche.
    Der erste und eifrigste bei der Veranstaltung dieser Nachforschungen war aber der Busenfreund des Herrn Schützenwerth, ein Herr Charles Guterjung, oder, wie er allgemein genannt wurde, »Karlchen Guterjung«. Ich habe nun nie feststellen können, ob es ein wundersames Zusammentreffen war oder ob der Name selbst einen unmerklichen Einfluß auf den Charakter ausübt; Tatsache aber ist, daß es noch nie einen Menschen mit Namen Charles gegeben hat, der nicht ein offener, männlicher, ehrenhafter, gutmütiger und freimütiger Kerl gewesen wäre, mit einer vollen, klaren Stimme, die wohltuend wirkte, und einem Blick, der einem gerade ins Gesicht sah, als wolle er sagen: Ich habe ein reines Gewissen, fürchte keine Seele und bin ganz außerstande, eine schlechte Handlung zu begehen. Und so führen alle munteren, sorglosen Herren auf der Bühne mit ziemlicher Bestimmtheit den Namen Charles.
    Karlchen Guterjung hatte, obschon er sich erst seit kaum sechs Monaten in Schnatterburg befand und kein Mensch, ehe er sich hier niederließ, etwas von ihm wußte, es mit leichter Mühe fertiggebracht, die Bekanntschaft aller ehrenwerten Leute im Städtchen zu machen. Da war kein Mann, dem ein schlichtes Wort aus seinem Mund nicht so viel wert gewesen wäre wie tausend Worte andrer, und von den Frauen läßt sich gar nicht sagen, was sie alles getan haben würden, um ihm gefällig zu sein. Und alles das nur, weil er Charles getauft worden war und infolgedessen jenes einnehmende Gesicht besaß, das als »bester Empfehlungsbrief« sprichwörtlich geworden ist.
    Ich habe schon gesagt, daß Herr Schützenwerth zu den achtenswertesten und jedenfalls reichsten Leuten in Schnatterburg gehörte; Karlchen Guterjung aber stand auf so vertrautem Fuß mit ihm, als wäre er sein eigner Bruder gewesen. Die beiden alten Herren waren Nachbarn, und wenngleich Herr Schützenwerth selten oder nie zu Karlchen hinüberging und noch nie bei ihm gespeist hatte, so hinderte das die beiden Freunde doch nicht, in der soeben dargelegten Weise einander nahezustehen; denn Karlchen ließ keinen Tag vergehen, an dem er nicht drei-, viermal nachsah, wie es dem Nachbarn ging, und sehr häufig blieb er zum Frühstück oder Nachmittagstee und fast stets zum Mittagessen. Und es wäre wirklich nur mit Mühe festzustellen, welche Quantitäten Wein die beiden Kumpane in einer Sitzung bewältigten. Karlchens Lieblingsgetränk war Château Margaux, und es schien Herrn Schützenwerths Herz zu erfreuen, wenn er sah, wie der alte Knabe ein Quart nach dem andern davon hinunterspülte. So kam es, daß er eines Tages, als der Wein einverleibt, der Verstand aber ziemlich ausgetrieben worden war, seinem Kumpan auf den Rücken klopfte und sagte: »Höre, Karlchen, du bist, meiner Seel‘, der tüchtigste Kerl, der mir mein Lebtag vorgekommen ist, und da du es liebst, den Wein derart hinunterzuschütten, so will ich mich hängen lassen, wenn ich dir nicht nächstens eine große Kiste Château Margaux zum Geschenk mache. Hol mich der Teufel« – Herr Schützenwerth hatte die betrübliche Gewohnheit zu fluchen, doch ging er glücklicherweise selten weiter als bis zu »alle Wetter« oder »Potztausend noch einmal« –, »Hol mich der Teufel«, sagte er, »wenn

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