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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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ich nicht noch heute vormittag in die Stadt schicke und eine Doppelkiste vom Allerbesten bestelle und dir ein Geschenk damit mache – ja, das will ich! – Du brauchst kein Wörtchen zu sagen – ich will, sage ich dir, und damit ist es erledigt; du kannst sie also erwarten – sie wird eines schönen Tages eintreffen, gerade, wenn du am wenigsten daran denkst!«
    Ich erwähne diese kleine Freigebigkeit von Seiten des Herrn Schützenwerth nur, um darzulegen, wie ein geradezu inniges Einverständnis zwischen den beiden Freunden herrschte.
    Also, an dem bewußten Sonntagmorgen, als es bekannt wurde, daß Herrn Schützenwerth übel mitgespielt worden sein mußte, ging das niemand so nahe wie Karlchen Guterjung. Als er hörte, daß das Pferd ohne seinen Herrn, ohne die Satteltaschen und mit Blut bedeckt zurückgekehrt sei, mit Blut, das von einer Pistolenkugel herrührte, die dem Tier, ohne es ganz zu töten, durch die Brust gegangen war – als er das alles hörte, wurde er so bleich, als sei der Vermißte sein geliebter Bruder oder Vater, und zitterte am ganzen Leib wie im Schüttelfrost.
    Zuerst war er vom Schmerz zu erschüttert, um irgend etwas planen oder unternehmen zu können, lange Zeit vermochte er Herrn Schützenwerths übrige Freunde abzuhalten, etwas in der Sache zu tun; er hielt es für das beste, abzuwarten – sagen wir ein bis zwei Wochen, oder ein bis zwei Monate –, ob sich nicht etwas herausstellen oder Herr Schützenwerth sich nicht von selbst einfinden und die Gründe auseinandersetzen würde, die ihn veranlaßt hatten, sein Pferd vorauszuschicken. Ich gebe zu, man hat diese Neigung zum Zögern, zum Aufschub sehr oft bei Leuten beobachtet, die eine schwere Sorge drückt. Ihre Geisteskraft erlahmt, so daß sie ein Grauen vor aller Betätigung haben und nichts auf der Welt lieber tun, als still im Bett liegen und ihren »Kummer pflegen«, wie die alten Damen das nennen – das heißt, über ihre Sorgen grübeln.
    Nun hatten die Leute von Schnatterburg tatsächlich eine so hohe Meinung von der Weisheit und Umsicht »unseres Karlchen«, daß die meisten geneigt waren, ihm zuzustimmen und nichts in der Sache zu unternehmen, bis sich »etwas herausstellen« würde, wie der brave Alte meinte; und ich glaube, man hätte sich schließlich allgemein dahin entschieden, hätte sich nicht der Neffe Herrn Schützenwerths verdächtigerweise eingemischt, ein junger Mann von liederlichen Gewohnheiten und durchaus schlechtem Charakter. Dieser Neffe, Kielfeder mit Namen, wollte hinsichtlich des »Abwartens« keine Vernunft annehmen und bestand auf einer sofortigen Suche nach »der Leiche des Ermordeten«. Das war der Ausdruck, den er gebrauchte, und Herr Guterjung bemerkte sehr richtig, es sei eine »sonderbare Bezeichnung, gelinde gesagt«. Auch diese Äußerung Karlchens war auf die Menge von großer Wirkung, und man hörte, wie jemand die bedeutsame Frage tat, wie es komme, daß Herr Kielfeder so genau die Umstände des Verschwindens seines reichen Onkels wissen könne, daß er sich berufen fühle, klar und unzweideutig zu behaupten, sein Onkel sei »ein Ermordeter«. Darauf gab es zwischen einzelnen in der Menge allerlei Gezänk und Gestichel, besonders zwischen Karlchen und Herrn Kielfeder – obzwar dieses letztere Ereignis durchaus nichts Neues war, denn in den letzten paar Monaten zeigten sich die beiden wenig gut gesinnt. Die Dinge waren sogar so weit gediehen, daß Herr Kielfeder seines Onkels Freund zu Boden geschlagen hatte, wie er behauptete, wegen allzu großer Freiheiten, die der Besucher sich in des Onkels Haus herausgenommen habe, das der Neffe mitbewohnte. Wie es scheint, hatte Karlchen sich bei dieser Gelegenheit mit vorbildlicher Gelassenheit und christlicher Milde benommen. Er erhob sich, ordnete seinen Anzug und machte nicht den geringsten Versuch zu einer Wiedervergeltung – murmelte nur etwas wie »bei erster Gelegenheit summarische Rache nehmen« – eine natürliche und gerechtfertigte Aufwallung des Zornes, die jedoch nichts weiter besagte und zweifellos ebenso schnell vergessen wurde, wie sie geäußert worden war.
    Wie diese Dinge nun auch liegen mögen (die mit dem vorliegenden Fall in keinerlei Beziehung stehen), Tatsache ist, daß die Leute von Schnatterburg durch die Überredungskunst Herrn Kielfeders endlich den Beschluß faßten, sich in der Umgegend auf die Suche nach dem vermißten Herrn Schützenwerth zu begeben. Ich sage, sie faßten zunächst den Entschluß. Nachdem

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