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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Erregung berühren darf. Auch für den gänzlich Verlorenen, für den Leben und Tod nur ein Scherz ist, giebt es Dinge, mit denen man nicht spaßen darf. Die ganze Versammlung schien tief zu fühlen, daß in dem Kostüm und Benehmen des Fremden weder Witz noch Schicklichkeitsgefühl zu entdecken war. Die Gestalt war lang und hager und von Kopf bis zu Fuß in Sterbekleider gehüllt. Die Maske, welche das Gesicht verbarg, glich dem Gesichte einer starren Leiche, so daß auch die genaueste Untersuchung den Betrug nur schwer würde entdeckt haben. Doch alles dieß hätte die tolle Gesellschaft vertragen, ja vielleicht gebilligt. Aber der Vermummte war so weit gegangen, das Bild des rothen Todes anzunehmen. Sein Gewand war in Blut getaucht, und seine großen Augenbrauen wie seine übrigen Gesichtszüge waren mit der erschrecklichen Scharlachröthe besprengt.
    Als Prinz Prospero‘s Blick auf dieses geisterhafte Bild fiel, das langsam und feierlich unter den Tanzenden auf- und abschritt, schauderte er anfangs vor Schrecken und Widerwillen am ganzen Körper, aber bald darauf röthete sich sein Angesicht vor Wuth.
    »Wer wagt es«, fragte er mit barscher Stimme die in seiner Nähe stehenden Hofleute, »uns durch dieses scheußliche Blendwerk zu insultiren? Ergreift und demaskirt ihn, damit wir erfahren, wen wir morgen zu hängen haben.«
    Es war aber in dem östlichen blauen Zimmer, wo Prinz Prospero diese Worte ausstieß. Sie konnten laut und deutlich durch die sieben Zimmer gehört werden, denn der Prinz war ein kräftiger und kühner Mann, und die Musik hatte auf einen Wink seiner Hand aufgehört. Der Prinz stand also in dem blauen Zimmer, an seiner Seite eine Gruppe Hofleute mit blassen Gesichtern. Als er zu sprechen anhob, entstand eine leichte Bewegung der Menge in der Richtung gegen den fremden Eindringling hin, der in diesem Augenblick ganz in der Nähe war und sich mit bedachtsamem und stattlichem Schritte näher an den Sprecher herandrängte. Aber in Folge einer gewissen Ehrfurcht, die der Vermummte der ganzen Gesellschaft einflößte, wagte es Niemand, Hand an ihn zu legen, so daß er ungehindert bis auf eines Fußes Länge auf den Prinzen zuschritt, und während die Menge gleichsam auf einen Impuls sich von der Mitte des Zimmers nach den Wänden zurückzog, nahm er ununterbrochen und mit demselben feierlichen und gemessenen Schritt wie zuvor seinen Weg durch das blaue Zimmer nach dem purpurfarbenen, durch das purpurfarbene nach dem grünen, durch das grüne nach dem orangefarbenen, durch dieses wieder nach dem Weißen, und ebenso zu dem veilchenblauen, ohne daß man einen entschiedenen Versuch gemacht hätte, ihn aufzuhalten. Da rannte Prinz Prospero wüthend vor Zorn und Scham über seine eigene momentane Feigheit eilig durch alle sechs Zimmer, ohne daß ihm Jemand von der Gesellschaft gefolgt wäre, so sehr hatte sich Aller eine tödtliche Furcht bemächtigt. Er hielt einen Dolch hoch in der Luft und nahte sich in hastiger Eile bis auf drei oder vier Fuß der sich zurückziehenden Gestalt, als diese, nachdem sie das äußerste Sammetzimmer erreicht, sich plötzlich umdrehte und seinem Verfolger gegenüberstand. Es erhob sich ein durchdringender Schrei, – der schimmernde Dolch fiel auf den schwarzen Teppich, und wenige Augenblicke darauf fiel Prinz Prospero todt zur Erde. In wilder Wuth der Verzweiflung drang ein Haufe der schwärmenden Gäste in das schwarze Zimmer, griff nach dem Vermummten, dessen lange Gestalt aufrecht und bewegungslos in dem Schatten der Ebenholzuhr stand, sah sich aber von unaussprechlichem Schrecken übermannt, als sich herausstellte, daß das Todtenkleid und die menschenähnliche Maske, das man mit solchem Ungestüm ergriffen, keinen greifbaren Körper enthielt.
    Jetzt war es entschieden, der rothe Tod war da. Er war gekommen wie der Dieb in der Nacht. Und einer nach dem andern von der Gesellschaft fiel in das mit Blut befleckte Zimmer der nächtlichen Lust und starb im Fallen. Auch die Ebenholzuhr stand still, als der letzte der fröhlichen Gesellschaft geendet hatte. Die Flammen der Dreifüße verlöschten. Nacht und Zerstörung herrschte ringsum, der rothe Tod war der unbeschränkte Gebieter von Allem.

Du bist der Mann

    Ich will jetzt für das Schnatterburger Rätsel den Ödipus spielen. Ich will euch, wie nur ich es vermag, alle Geheimnisse aufdecken, die das Schnatterburger Wunder zustande brachten – das eine, wahre, anerkannte, unwidersprochene, unwiderlegliche Wunder, das

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