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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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zu dämpfen.
    In diesem Stil erging sich Herr Guterjung eine halbe Stunde oder länger, sehr zum Lob seines Verstandes und seines Gemütes. Aber solche warmherzigen Leute wissen Worte oft nicht recht zu setzen – begehen allerlei Ungeschicklichkeiten, sind in ihrem Übereifer, einem Freund zu nützen, oft etwas mal-à-propos – und tun so oft in der allerbesten Absicht mehr zu seinem Schaden als zu seinem Vorteil.
    So ging es diesmal mit Karlchens Beredsamkeit. Denn trotzdem er sich ernstlich zugunsten des Verdächtigen bemühte, hatte doch jede Silbe, die er in der bestimmten, aber unwillkürlichen Absicht äußerte, den Sprecher seinen Hörern gegenüber nicht herauszustreichen, die Wirkung, den bereits vorhandenen Verdacht gegen die Persönlichkeit, deren Sache er vertrat, zu bestärken und die Wut des Pöbels gegen den jungen Mann aufzustacheln.
    Zu diesen unverantwortlichen Fehlern des Redners gehörte der Hinweis, daß der Verdächtige »der Erbe des ehrenwerten alten Herrn Schützenwerth« sei. Die Leute waren wirklich noch nicht darauf gekommen. Sie entsannen sich nur, daß der Onkel (der außer dem Neffen keinen Erben hatte) diesem vor ein bis zwei Jahren ein paarmal mit Enterbung gedroht hatte, und sie hatten diese Enterbung daher stets als eine ganz abgemachte Sache betrachtet – ein so absonderlicher Menschenschlag war die Einwohnerschaft von Schnatterburg. Karlchens Bemerkung aber rückte diesen Punkt sofort ins wahre Licht und ließ so erkennen, daß diese Drohungen eben höchstwahrscheinlich nichts als Drohungen gewesen waren. Und daraus ergab sich natürlich sogleich die Frage nach dem »cui bono«, eine Frage, die sogar noch mehr als das Wams geeignet war, das furchtbare Verbrechen dem jungen Mann zur Last zu legen. Und hier gestatte man mir, damit ich nicht mißverstanden werde, eine kurze Abschweifung, lediglich um festzustellen, daß die so ausnehmend kurze und schlichte lateinische Bezeichnung, die ich angewendet habe, ausnahmslos falsch übersetzt und mißdeutet wird. In allen Sensationsromanen und überall – beispielsweise in denen der Mrs. Gohe (der Verfasserin von »Cecil«), einer Dame, die alle Sprachen, vom Chaldäischen bis zu den Indianersprachen, beherrscht und deren Kenntnisse »nach Bedarf« und planmäßig von einem Herrn Beckford unterstützt werden – ich sage, in allen Sensationsromanen, bei Bulwer und Dickens angefangen bis zu Turnapenny und Ainsworth, werden die zwei kleinen Worte » cui bono « als »zu welchem Zweck« ausgelegt oder (wie » quo bono «) »wozu ist es gut?« Ihr wahrer Sinn ist jedoch »zu wessen Vorteil«. » Cui « = für wen, » bono « = ist es von Vorteil. Es ist eine rein juristische Phrase und gerade auf solche Fälle wie den vorliegenden anwendbar, wo die Wahrscheinlichkeit der Täterschaft von der Wahrscheinlichkeit des Vorteils abhängt, der dem Betreffenden entsteht oder der aus der Vollziehung der Tat erwächst. Nun wies in vorliegendem Fall die Frage nach dem » cui bono « sehr deutlich auf Herrn Kielfeder hin. Denn der Onkel hatte ein Testament zu seinen Gunsten gemacht und ihm dann mit Enterbung gedroht. Die Drohung hatte er aber nicht ausgeführt; es schien, als sei das ursprüngliche Testament nicht geändert worden. Wäre es geändert worden, so hätte sich als einziges mutmaßliches Motiv für den Mord der bekannte Rachedurst ergeben, und selbst dem stand die Hoffnung entgegen, von dem Onkel wieder in Gnaden aufgenommen zu werden. Wenn jedoch das Testament unverändert blieb, die Drohung aber beständig über dem Haupt des Neffen schwebte, so ergibt sich sofort der stärkste Antrieb zu einem Verbrechen: und so schlußfolgerten höchst weise auch die würdigen Bürger von Schnatterburg.
    Demgemäß wurde Herr Kielfeder auf der Stelle verhaftet, und die Menge begab sich nach etlichen weiteren Nachforschungen auf den Heimweg, wobei sie den Beschuldigten gut bewachte. Unterwegs ereignete sich nun noch ein Umstand, der den schon vorhandenen Verdacht nur bestärken konnte. Herr Guterjung, den der Eifer stets dem Trupp um einige Schritte voraneilen ließ, lief plötzlich vor, bückte sich und schien irgendeinen kleinen Gegenstand vom Grasboden aufzuheben. Man sah, wie er ihn rasch betrachtete und halbwegs den Versuch machte, ihn in der Tasche seines Überrocks verschwinden zu lassen; dieses Vorhaben wurde aber, wie gesagt, bemerkt und verhindert, und der gefundene Gegenstand wurde als ein spanisches Dolchmesser erkannt, von dem wohl ein

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