Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
hatte sich vor einigen Tagen auf einem Ausflug nach dem Felsengebirge eine leichte fieberhafte Erkältung zugezogen, die von starkem Blutandrang nach dem Kopf begleitet war. Um Linderung herbeizuführen, entschloß sich Dr. Templeton zu einer örtlichen Blutentziehung. Es wurden Blutegel an die Schläfen gesetzt. In erschrecklich kurzer Zeit starb der Patient, und es stellte sich heraus, daß zufällig in das Glas, das die Blutegel enthielt, einer von den giftigen, blutsaugenden Würmern geraten war, die man von Zeit zu Zeit in den Sümpfen unserer Gegend findet. Das Tier saugte sich an einer kleinen Ader der rechten Schläfe fest. Seine starke Ähnlichkeit mit dem medizinischen Blutegel führte zu dem leider zu spät entdeckten traurigen Irrtum.
NB. Die giftigen Egel von Charlottesville kann man stets durch ihre schwarze Farbe von den medizinischen Blutegeln unterscheiden, außerdem auch durch ihre eigentümlichen, fast schlangenartigen Bewegungen.«
Ich sprach zufällig mit dem Redakteur der Zeitung über die merkwürdige Sache, als mir einfiel, ihn zu fragen, warum er den Nomen des Verstorbenen Bedlo geschrieben habe.
»Ich nehme an«, sagte ich, »daß Ihre Schreibweise die richtige ist. Ich hatte sonst immer geglaubt, er schriebe sich mit einem e am Ende.«
»Die richtige? Nein«, antwortete er. »Es war einfach ein Druckfehler. Der Name wird natürlich überall mit einem e geschrieben, ich habe ihn nie anders gelesen.«
»Wie merkwürdig«, sagte ich zu mir selbst, als ich gegangen war. »Hier scheint die Wirklichkeit wieder einmal seltsamer als die Phantasie zu sein – denn Bedlo ohne e ist natürlich die Umkehrung von Oldeb. Und dieser Mann teilt mir mit, daß alles nur ein Druckfehler war.«
Das Faß Amontilladowein
Die tausend Kränkungen, die Fortunato mir zufügte, ertrug ich, so gut es ging, aber als er zu Beschimpfungen überging, schwur ich, mich zu rächen. Sie kennen mich natürlich viel zu genau, um anzunehmen, daß ich irgendeine Drohung geäußert hätte. Für mich war nur eines sicher, nämlich, daß meine Rache einmal kommen werde, und gerade, weil mein Entschluß so fest stand, hütete ich mich, bei der Durchführung irgendeine Gefahr zu laufen. Ich mußte ihn nicht nur bestrafen, sondern ihn bestrafen, ohne selbst bestraft zu werden. Eine Beleidigung ist nicht gerächt, wenn den Rächer eine Vergeltung überkommt. Sie ist auch nicht gerächt, wenn der Rächer es dem Beleidiger nicht fühlbar machen kann, wofür er jetzt bestraft wird.
Also wohlverstanden, weder durch Worte noch durch Handlungen gab ich Fortunato Veranlassung zu irgend einem Mißtrauen gegen mich, und ich pries ihn vor allem als hervorragenden Weinkenner. In wenigen Italienern steckt der Geist des echten Kunstkenners. Meistens ist ihr Enthusiasmus nur vorgetäuscht und dient ihnen, wenn Zeit und Gelegenheit es erfordern, britische oder österreichische Millionäre zu betrügen. Was Bilder und sonstige Kunstschätze anging, so war Fortunato wie seine Landsleute ein Prahlhans, aber von alten Weinen verstand er wirklich etwas. In dieser Hinsicht glich ich ihm übrigens, ich war ebenfalls ein Kenner italienischer Weinsorten und machte, wo ich es nur konnte, darin große Einkäufe.
Es war eines Abends in der tollsten Karnevalszeit, als ich in der Dämmerung meinen Freund traf. Mit überschwänglicher Freundlichkeit kam er auf mich zu, denn er hatte viel getrunken. Er war maskiert und trug ein enganliegendes, buntgestreiftes Narrenkostüm mit einer hohen, rundlichen Schellenkappe auf dem Kopf. Ich war so erfreut, ihn zu sehen, daß ich mir fast nicht genug tun konnte, ihm die Hand zu schütteln.
»Mein lieber Fortunato«, sprach ich zu ihm, »welch ein Glück, Sie zu treffen! Wie außerordentlich gut Sie aussehen! Denken Sie, ich habe ein Faß angeblichen Amontilladowein erhalten, aber ich bin mir nicht ganz sicher.«
»Was?« rief er, »Amontillado? Ein ganzes Faß? Unmöglich! Und mitten im Karneval!«
»Ich war der Sache nicht ganz sicher«, antwortete ich, »und trotzdem töricht genug, den vollen Amontilladopreis zu bezahlen, ohne Sie in der Angelegenheit um Rat zu fragen. Aber Sie waren nicht zu finden, und ich fürchtete, daß mir der Einkauf entginge.«
»Amontillado!«
»Es ist nicht bestimmt.«
»Amontillado!«
»Ich war gezwungen, auf ihre Forderung einzugehen.«
»Amontillado!«
»Schade, daß Sie verhindert sind, ich bin gerade auf dem Wege zu Luchresi. Wenn jemand ein scharfes Urteil hat, dann ist er
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