Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
betrachtete mich nochmals mit gespannter Aufmerksamkeit mehrere Minuten lang – mindestens fünf Minuten lang, möchte ich behaupten.
Dieses für ein amerikanisches Theater so außerordentliche Gebaren erweckte die allgemeine Aufmerksamkeit und verursachte eine gewisse Bewegung, ein Raunen im Publikum, das mich einen Augenblick lang verwirrte, auf Madame Lalandes Mienen aber keine sichtbare Wirkung hervorrief.
Nachdem sie ihre Neugier – wenn es solche war – befriedigt hatte, ließ sie das Glas sinken und wandte ihre Aufmerksamkeit gelassen wieder der Bühne zu, mir, wie vorher, das Profil zukehrend. Ich fuhr unablässig fort, sie anzustarren, wenngleich ich mir der Ungezogenheit dieses Benehmens völlig bewußt war. Auf einmal sah ich, daß ihr Kopf langsam und sachte seine Lage veränderte, und bald hatte ich die Gewißheit, daß die Dame nur so tat, als blicke sie zur Bühne, in Wirklichkeit aber mich aufmerksam betrachtete. Überflüssig, zu sagen, welche Wirkung dieses Betragen einer so bezaubernden Frau auf meine erregbare Seele ausübte.
Nachdem der schöne Gegenstand meiner Leidenschaft mich in solcher Weise wohl eine Viertelstunde lang beaugenscheinigt hatte, wandte sie sich an ihren Begleiter, und während sie sprach, erkannte ich deutlich an den Blicken beider, daß ihr Gespräch sich auf mich bezog.
Als es beendet war, wandte Madame Lalande sich wiederum der Bühne zu und schien für wenige Minuten in die Vorstellung vertieft. Nach Ablauf dieser Frist jedoch wurde ich von neuem dadurch in äußerste Spannung versetzt, daß sie wiederum das ihr zur Seite hängende Lorgnon ergriff, mich wie vorher eingehend betrachtete und mich, ungeachtet des erneuten Gemurmels, mit der nämlichen Überlegenheit, die mich vorhin entzückt und verwirrt hatte, von Kopf zu Fuß musterte.
Dieses ungewöhnliche Benehmen, das mich geradezu in ein Fieber von Begeisterung stürzte – in eine förmliche Liebesraserei –, diente eher zu meiner Ermutigung als Abkühlung. In der verzückten Inbrunst meiner Hingabe vergaß ich alles, bis auf die Anwesenheit und hoheitsvolle Lieblichkeit der Erscheinung, die sich meinen Blicken bot. Ich ergriff daher die Gelegenheit, als ich das Publikum so völlig in die Oper vertieft wähnen konnte, den Blick Madame Lalandes festzuhalten und eine leichte, aber nicht zu mißdeutende Verneigung zu machen.
Sie errötete tief – wandte dann den Blick ab – sah sich darauf langsam und vorsichtig um, offenbar, um festzustellen, ob meine rasche Tat bemerkt worden war, – und neigte sich dann zu dem Herrn an ihrer Seite.
Ich fühlte nun mit brennender Scham das Unangebrachte meiner Handlungsweise und erwartete nichts Geringeres als sofortige Bloßstellung, während mir gleichzeitig der Gedanke an ein Pistolenduell am nächsten Morgen ungemütlich durch den Kopf schoß. Ich fühlte mich aber bald der Besorgnis enthoben, als ich sah, daß die Dame dem Herrn nur wortlos den Theaterzettel reichte. Doch wird sich der Leser nur eine schwache Vorstellung meiner Verblüffung machen können – meiner ungeheuren Bestürzung, der maßlosen, tollen Verwirrung in Herz und Seele –, als sie gleich darauf, nach einem verstohlenen Blick in die Runde, ihre strahlenden Augen voll und fest in meine senkte und dann mit einem leisen Lächeln, das eine leuchtende Reihe ihrer Perlenzähne enthüllte, zweimal deutlich, bestimmt und in nicht mißzuverstehender Bejahung mit dem Kopfe nickte.
Es ist natürlich überflüssig, bei meinem Glück – meiner Verzückung – meiner grenzenlos überströmenden Herzensfreude zu verweilen. Wenn je ein Mann aus Übermaß an Glück verzückt war, so war ich es in jenem Augenblick. Ich liebte. Es war meine erste Liebe – ich fühlte es. Es war eine himmlische – eine unbeschreibliche Liebe. Es war die »Liebe auf den ersten Blick«, und sie war ebenso auf den ersten Blick gewürdigt und erwidert worden.
Jawohl, erwidert. Wie und wann hätte ich nur für einen Augenblick daran zweifeln sollen? Welche andere Deutung hätte ich wohl solchem Verhalten von seiten einer so schönen, so reichen, so ersichtlich wohlerzogenen Dame in so hoher gesellschaftlicher Stellung geben sollen, die in jeder Hinsicht so achtenswert war, wie Madame Lalande es – das fühlte ich – sein mußte? Ja, sie liebte mich – sie erwiderte die Ekstase meiner Liebe mit einer ebenso blinden Begeisterung – ebenso unwandelbar – ebenso unüberlegt – ebenso hingebungsvoll – und ebenso unbeherrscht wie
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