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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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war wirklich eine Närrin,« rief sie aus; »da hatte der Spleen von Eugenie Salsafette mehr Sinn. Sie war ein sehr hübsches und zurückhaltendes junges Mädchen, dem die übliche Kleidertracht anstößig erschien; sie versuchte deshalb, statt in die Kleider hineinzuschlüpfen, aus ihnen herauszukommen. Das geht übrigens ganz leicht. Man braucht nur so – zu machen – und dann so – so – so – und dann so – und so – und so – und dann –«
    »Mein Gott! Fräulein Salsafette!« riefen ein Dutzend Stimmen. »Was fällt Ihnen ein! – Gott bewahre! Genug, genug! – Wir sehen deutlich genug, wie es gemeint ist! – Halt, halt!« Und einige sprangen schon von ihren Sitzen, um Fräulein Salsafette davon abzuhalten, sich in das Kostüm der Mediceischen Venus zu werfen.
    Da wurde die allgemeine Verwirrung noch durch laute, gellende Schreie gesteigert, die aus einem inneren Teil des Schlosses zu dringen schienen.
    Meine Nerven wurden von diesen Schreien nicht wenig erschüttert, für die andern aber hatten sie geradezu eine bedauernswerte Wirkung. Nie in meinem Leben sah ich vernünftige Leute so fürchterlich erschrecken. Sie wurden alle leichenblaß, sanken in ihrem Stuhl zusammen und lauschten, bebend vor Angst, auf eine Wiederholung jener Töne. Sie kamen – näher und lauter – und dann ein drittes Mal sehr laut, und dann ein viertes Mal mit anscheinend verminderter Heftigkeit. Bei diesem offenbaren Nachlassen des Lärmens gewann die Gesellschaft schnell ihre Fassung zurück, und wie vorher war alles voll Leben und Heiterkeit. Ich wagte jetzt eine Frage nach der Ursache jener sonderbaren Störung.
    »Nichts von Bedeutung,« sagte Herr Maillard. »Wir sind dergleichen gewohnt und kümmern uns nicht viel darum. Hie und da brechen die Irren in ein gemeinsames Geheul aus; einer steckt den andern damit an, ähnlich wie Hunde des Nachts einander zum Bellen reizen. Es kommt jedoch gelegentlich vor, daß diesem Schreien ein allgemeiner Versuch, auszubrechen, folgt, was natürlich nicht ganz gefahrlos wäre.«
    »Und wieviel Pfleglinge haben Sie?«
    »Gegenwärtig nicht mehr als zehn.«
    »Hauptsächlich Frauen, wie ich schätze?«
    »O nein – lauter Männer, und kräftige dazu, kann ich Ihnen sagen.«
    »Wirklich! Ich habe immer angenommen, die Mehrzahl der Irrsinnigen sei weiblichen Geschlechts.«
    »Meistens ist es so, aber nicht immer. Vor einiger Zeit hatten wir hier siebenundzwanzig Patienten und darunter nicht weniger als achtzehn Frauen; in letzter Zeit hat sich aber, wie Sie sehen, vieles geändert.«
    »Ja – vieles geändert, wie Sie sehen«, fiel der Herr ein, der vorhin Mamselle Laplace auf den Brokat getreten hatte.
    »Ja – vieles geändert, wie Sie sehen!« brüllte die ganze Gesellschaft auf einmal.
    »Haltet den Mund!« rief mein Gastgeber aufgebracht. Worauf minutenlang vollkommene Stille herrschte. Eine der Damen nahm Herrn Maillards Befehl wörtlich und hielt sich bis zum Ende des Gesprächs den großen Mund gehorsam mit beiden Händen zu.
    »Und jene Dame,« sagte ich und beugte mich zu Herrn Maillard, »die gute alte Dame, die uns das Kikeriki vormachte – sie ist, wie ich annehme, harmlos – ganz harmlos, wie?«
    »Harmlos?« sagte er mit unverhohlenem Staunen. »Wie – wie – wie meinen Sie das?«
    »Nur ein leichter Fall«, sagte ich und tippte mit dem Finger an die Stirn. »Ich nehme an, es ist kein schwerer, kein gefährlicher Fall, wie?«
    »Mein Gott! Was denken Sie denn! Diese Dame, meine liebe alte Freundin Frau Joyeuse, ist so gesund wie ich. Gewiß, sie hat ihre kleinen Eigenheiten – aber, Sie wissen ja: alle alten Frauen – alle sehr alten Frauen sind mehr oder weniger sonderbar!«
    »Gewiß,« sagte ich – »gewiß – und die andern Herren und Damen hier –«
    »Sind meine Freunde und Beamten,« fiel mir Herr Maillard ins Wort und richtete sich abweisend in die Höhe – »meine besten Freunde und Gehilfen.«
    »Wie, allesamt?« fragte ich, »die Frauen und alle die übrigen?«
    »Allerdings,« sagte er – »wir könnten ohne die Frauen gar nicht auskommen; sie sind die besten Irrenwärterinnen, die es gibt; sie haben so ihre eigene Weise, wissen Sie; ihre strahlenden Blicke haben eine ganz besondere Wirkung – so ähnlich wie der Zauber der Schlange, verstehen Sie.«
    »Gewiß,« sagte ich – »ganz gewiß! Aber sie benehmen sich ein wenig sonderbar, wie? – Sie sind nicht so ganz richtig, wie? – Meinen Sie nicht?«
    »Sonderbar! – Nicht ganz richtig! –

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