Edgar Wallace - Der grüne Bogenschütze
wünsche, bis ich Abel Bellamy alle seine Verbrechen nachweisen kann.«
Sie standen im Garten, und sie war dabei, die verwelkten Blütenblätter einer großen, weißen Chrysantheme zu entfernen.
»Glauben Sie, daß ich die Hoffnung aufgeben muß, jemals meine Mutter wiederzufinden?« fragte sie.
Er wollte ihr nicht direkt antworten.
»Eine Hoffnung, die schon ein Teil der Gedanken geworden ist, die man jahrelang gehegt hat, soll man eigentlich nicht aufgeben« sagte er schließlich.
Sie wollte ihm etwas mitteilen und hatte ihn deswegen in den schattigen Garten geladen. Aber so oft sie beginnen wollte, fiel ihr das Sprechen zu schwer. Wenn sie ihr Geheimnis verriet, brachte sie damit einen Menschen in Verdacht, den sie von Herzen liebte, und der ihr sehr teuer war. Und doch konnte nur eine Aussprache über das, was ihre Gedanken Tag und Nacht beschäftigte, ihre verstörten Gedanken wieder zur Ruhe bringen.
»Jim, ich gebe mir die größte Mühe, Ihnen alles Vertrauen entgegenzubringen, und doch fürchte ich mich ein wenig vor Ihnen. Es ist wegen meines – meines Vaters, Mr. Howett. Wollen Sie bitte vergessen, daß Sie ein Polizeibeamter sind und nur daran denken, daß Sie mein Freund sind?«
Er nahm ihre kalte Hand in die seine, und sie verweigerte es ihm nicht.
»Erzählen Sie, was Sie bedrückt, Valerie« sagte er freundlich. »Ich habe mich niemals weniger als Polizeibeamter gefühlt als gerade in diesem Augenblick.«
Sie ließ sich auf einer großen Holzbank an seiner Seite nieder und berichtete ihm zögernd von ihrem merkwürdigen nächtlichen Erlebnis, von den flüsternden Stimmen und dem Weinen.
»Als mein Vater mir sagte, daß er selbst im Wohnzimmer war, hätte ich zu Bett gehen sollen – aber ich war so neugierig und – Jim, ich wäre beinahe gestorben, als ich unten in der Eingangshalle den Grünen Bogenschützen stehen sah!«
Jim war erstaunt, aber nicht im mindesten beunruhigt.
»Haben Sie Mr. Howett gesehen, als er nachher die Treppe heraufkam?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er ging direkt in sein Zimmer.«
»Langsam oder eilig?«
»Sehr schnell.«
»Hat er nicht an Ihre Türe geklopft oder Ihnen Gute Nacht gesagt?«
»Nein, er ging in sein Zimmer und schloß die Tür hinter sich zu.«
»Und die Frau – haben Sie die auch gesehen?«
»Nein, Mr. Holland glaubte, daß sie den Wagen lenkte, der an ihm vorbeikam und ihn aufweckte.«
Man sah Zweifel in Jims Gesicht.
»Eine hysterische Frau wird wohl kaum in der Lage sein, ein Auto zu lenken. Aber immerhin, manchmal erholen sich Frauen sehr schnell. Es ist eine ganz merkwürdige Geschichte.«
»Ich will Ihnen eine noch viel seltsamere Sache erzählen« sagte sie und teilte ihm nun zum erstenmal mit, daß sie in der Nacht, in der sie ihren abenteuerlichen Gang nach Garre Castle unternahm, sonderbare Geräusche gehört und den grünen Pfeil in der Küche gefunden hatte.
Auf seine dringende Bitte hin brachte sie die Waffe zum Wohnzimmer herunter. Er nahm sie in die Hand und maß sie.
»Dieser Pfeil ist länger als die drei, die ich bis jetzt gesehen habe« sagte er schließlich. »Creager und Smith wurden durch Pfeile getötet, die wenigstens fünfzehn Zentimeter kürzer waren als dieser, der genau ein altes Yard mißt. Diese Pfeile wurden von den Bogenschützen im Mittelalter benützt.«
Er befühlte die nadelscharfe Spitze und untersuchte sie durch sein Vergrößerungsglas.
»Die Spitze ist handgefertigt« erklärte er dann. »Nun verstehe ich auch, warum wir keinen Erfolg hatten, als wir alle Geschäfte untersuchten, die solche Sportartikel führen. Der Pfeilschaft ist auch selbst hergestellt – er ist außerordentlich kunstvoll geglättet.«
Er besah ihn neugierig und hielt ihn nahe ans Licht. »Ich sehe ein halb Dutzend Fingerabdrucke daran« sagte er plötzlich. »Wahrscheinlich sind das Ihre eigenen, aber es wäre doch wichtig, wenn ich sie photographieren könnte. Darf ich den Pfeil mit mir zur Stadt nehmen?«
»Nein« sagte sie mit einer Heftigkeit, über die er sich sehr wunderte, bis er sich wieder an die Zusammenhänge erinnerte. Sie fürchtete – daß die Fingerabdrücke die Identität des Grünen Bogenschützen ans Tageslicht bringen könnten.
Er gab ihr den Pfeil zurück, als sich plötzlich die Tür öffnete und Mr. Howett eintrat.
»Mein lieber –« begann er, brach aber plötzlich ab. »Was ist das?« fragte er düster.
»Ein Pfeil« stotterte Valerie. Mr. Howett nahm ihr die Waffe aus der Hand, wandte sich
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