EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
Geschichte
»Die individuellen Entwicklungswege, die wir bei der Schülerschaft fördern wollen, bilden sich auch im Kollegium ab«, beobachtet Paul B. Schmidt, Lehrer für Praktisches Lernen, der in seinem ersten beruflichen Leben Metaller in einem Industriebetrieb war und jetzt parallel zu seiner Lehrtätigkeit als Coach und Mediator arbeitet. Er ist nicht der einzige Quereinsteiger im Kollegium der esbz – in Berlin ist wegen Lehrermangels an den Schulen inzwischen Quereinstieg endlich möglich. »Wir sind ziemlich heterogen, das hat schon eine bestimmte Qualität«, sagt er. »Es gehört hier zum Konzept, dass man einen bestimmten Anteil von Leuten mit anderen beruflichen Hintergründen und Ausbildungswegen einlädt mitzumachen.«
Diese Offenheit spricht ganz offensichtlich auch zukünftige Kollegen an, was für uns eine sehr schöne Bestätigung ist. Die Studentin der Sonderpädagogik und Arbeitslehre Alice Rathgeber hat, nachdem sie fünf unserer Schülerinnen bei ihrer Herausforderung begleitet hatte, anschließend der Schulleitung eine E-Mail geschrieben: »Ich möchte mich unbedingt weiter an dieser Schule engagieren. Danke fürs Mutmachen!«
Säule 3: Lernen, zusammen zu leben
Inklusive Schule: Heterogenität als Schatzkiste der Talente
Das deutsche Schulsystem ist eines der selektivsten der Welt. Deutschland ist Spitzenreiter in der sozialen Exklusion von Kindern mit Behinderung, aus sozial schwachen und aus Einwandererfamilien. Während in anderen Ländern das Bildungssystem soziale Benachteiligung ausgleicht, wird diese in Deutschland durch die Schule häufig noch verstärkt. Wer nicht in das Einheitsschema passt, wird nach unten durchgereicht. Wenn aber schon Drittklässler schlecht schlafen, psychosomatische Beschwerden haben, unter Angst lernen, wenn der Kampf um Noten zur Zulassung oder Nichtzulassung zum Gymnasium das Ler nen und die Herzen bestimmt, wenn zehnjährige Kinder ihren Selbstwert über die ihnen zugewiesene Schulform definieren, dann ist das Beschädigung von Kinderseelen.
Wir sind nicht dazu da, Menschen an vorgegebene Systeme anzupassen. Unser Beruf, unsere Berufung ist es, für – und vor allem mit – den Menschen Systeme so als ihre eigenen zu ge stalten, dass sie sich in ihnen wohlfühlen und dass sie dadurch Lebens-Sinn erfahren.
Otto Herz, Reformpädagoge, 2010
Das bestehende System schneidet unten ab und deckelt oben.
Selbst in unseren Gymnasien tun wir so, als wären alle Kinder gleich. Dabei ist jede Gymnasialklasse höchst heterogen. Trotzdem machen alle Kinder das Gleiche, und Stofffülle, Leistungsdruck und die Selektion erzeugen den Ungeist der Konkurrenz von Siegern und Verlierern. Das fördert das alte Ego-System. Wir brauchen aber Kreatitivät, die Fähigkeit zu Kooperation, wir brauchen Heranwachsende mit positiven Erfahrungen mit Unterschiedlichkeit, mit Handlungskompetenz in heterogenen Gruppen und mit Gestaltungsmut! Uns scheint gar nicht klar zu sein, was wir mit diesem elitären Kastendenken, das Kinder als »Hauptschüler« und »Gymnasiast« etikettiert, anrichten, welche Wirkung es für den Gemeinsinn in unserer Gesellschaft hat und für die Entwicklung ablehnender Haltungen unter den verschiedenen sozialen Gruppen.
Im Schuljahr 2008/2009 wurde im Bereich der Kindertageseinrichtungen ein Inklusionsanteil von über 60 Prozent erreicht, in Grundschulen waren es rund 34 Prozent, und in der Sekundarstufe I wurden gerade mal 15 Prozent der Kinder mit Förderbedarf gemeinsam mit anderen Kindern unterrichtet. Betroffen vom Ausschluss sind über eine halbe Million Kinder. Drei Viertel aller Förderschulabgänger erreichen keinen Hauptschulabschluss. [18]
Inklusion steht für Menschenwürde. Sie leitet sich ab aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, aus der UN-Konvention über die Rechte der Kinder, aus der UN-Konvention über die Rechte Behinder ter. Menschenrechte sind Grundrechte.
Wie wollen wir das Zusammenleben in der einen Welt lernen, wenn wir unseren Kindern nicht die Erfahrung ermöglichen, dass in der Vielfalt ungeheure Potenziale stecken?
Inklusion ist – insbesondere in Deutschland – die Herausforderung der Zukunft. Sie anzunehmen und gelingen zu lassen bedeutet, Heterogenität als Normalität zu akzeptieren und Vielfalt als Chance zu betrachten. Mit Blick auf die bestehenden und sich abzeichnenden großen ökologischen und gesellschaftlichen Probleme in unserer Welt bedeutet dies auch: die Fähigkeit, die
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