EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
den Weg begeben hat, Schule so zu verstehen und zu gestalten, wie sie den Zukunftsherausforderungen einer hochdynamischen, sich selbst immer wieder neu erfindenden Gesellschaft besser gerecht werden kann. Die nächsten beiden Kapitel verlassen die bisher im Zentrum stehende Schule und wenden sich den Fragen zu: Gibt es in der Welt vergleichbare Bildungsinnovationen, aus deren Erfahrungen wir in Ergänzung zu den Erfahrungen der Evangelischen Schule Berlin Zentrum allgemeine grundlegende Erkenntnisse ableiten können, was das Wesen von echten, tiefgreifenden Bildungsinnovationen ausmacht? Und zum Zweiten: Was können wir daraus dann in Bezug auf eine systematische und grundlegende Bildungs innovations bewegung lernen – oder anders formuliert: Wie schaffen wir die zügige Umgestaltung möglichst vieler Schulen in eine Richtung, wie sie in diesem Buch als sehr real möglich aufgezeigt wurde?
Ein immer wieder von uns allen genutztes geflügeltes Wort lautet: »Wir sollten das Rad nicht zweimal erfinden.« Richtig – und falsch zugleich. Natürlich macht es keinen Sinn, etwas, das bereits existiert, ständig noch einmal erfinden zu wollen. Aber: Selbst bei noch so grundlegend erscheinenden Errungenschaften macht es sehr viel Sinn, sich von Zeit zu Zeit zu fragen, ob diese den Herausforderungen und Möglichkeiten der neuen Zeit weiterhin angemessen Rechnung tragen.
Ein Beispiel: Die Erfindung der Dezimalzahlen zur Ablösung bei spielsweise des römischen Zahlensystems eröffnete allen Anwendungen der Mathematik, von den einfachsten Rechenoperationen im Alltag jedes Menschen bis zur kompliziertesten Zahlenakrobatik, entscheidende neue Spielräume. Über viele Jahrhunderte hinweg kam kein Mensch mehr auf den Gedanken, über ein intelligenteres und funktionaleres Zahlensystem zu grübeln. Das sogenannte arabische Zahlensystem, mit dem die gesamte Menschheit seit Generationen rechnet und das sich scheinbar in ihre Genetik eingewebt hat, erschien uns als eine nicht mehr hinterfragenswerte Errungenschaft. Bis vor relativ kurzer Zeit hätte es wohl auch wirklich keinen Sinn ergeben, über eine andere Option nachzudenken für mathematische Operationen. Doch plötzlich geschah etwas Unerwartetes: Es öffnete sich durch den technologischen Fortschritt ein neuartiges »Fenster der Möglichkeiten«, in dem sich sogenannte »intelligente Rechner« als Option an den Baustellen der Technologietüftler zeigten. Plötzlich erwies sich das gute alte Dezimalsystem als ein sehr hinderliches Instrument. Also machten sich die Menschen an eine Lösung dieses Problems. Und sie kamen erstaunlich schnell auf eine andere Lösung, die sich schlicht ein Muster aus der Elektronik abschaute. Eine Grundlogik der Elektronik ist »plus« / »minus«, »an« / »aus«. In die Sprache der Mathematik übertragen bedeutet dies: Wir reduzieren die Dezimalzahlen einfach auf »null« und »eins«, und schon sind die Elektronik und die Mathematik in nahezu unendlich weit erscheinender Weise »anschlussfähig«. Dieser genial einfache Geniestreich öffnete die »windows« zu den völlig neuen Welten der Computer- und Softwareentwicklung. Ohne diese partielle Neuerfindung des Rads der Mathematik wäre der Quantensprung zur digitalen Revolution schlicht nicht möglich gewesen.
Wir leben in einer Zeit, in der sich der Mensch den Zugriff auf sehr viele weitere analoge »Stellschrauben« in allen uns umgeben den und auch den in uns selbst liegenden Systemen erarbeitet hat. Diese neue menschliche Gestaltungskraft eröffnet – dank Transportmitteln, dank Computer, dank Haushaltsgeräten und sonstiger Maschinen, dank eines, im übertragenen Sinne, 24 Stunden geöffneten globalen Kaufhauses täglich neuer potenzieller Hilfsmittel zur potenzialreicheren Lebensgestaltung – jedem Menschen immer mehr Handlungsoptionen. Diese permanente Optionsexplosion bereitet der Menschheit endlos viele neue Chancen, aber auch ebenso viele neue Risiken und Gefahren. Wenn der Mensch die Lust auf die Entdeckung neuer Gestaltungsoptionen nicht verliert, und nichts spricht dafür, dass er diese Lust verliert, dann steckt der Mensch längst mitten in einer Verantwortung auf einer völlig neuen Ebene: Er muss für jedes Individuum sowie für das Miteinander von der Teamebene bis zur Menschheit als Ganzes die Kompetenz erwerben, das bisher veranstaltete Konzert von Grund auf zu verändern: Der Mensch kann es schaffen, mit anderen Noten, anderen Instrumenten, anderen Klängen einer
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