EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
veränderten Zuhörerschaft in einem völlig veränderten Klangraum, eine neue Welt aufzuführen, nämlich eine neue, gemeinsame verantwortungsbewusste Welt. Oder anders formuliert: Der Mensch hat sich selbst zu gesamtmenschheitlicher und gesamtsystemischer Verantwortung verurteilt, und zwar nicht einmal nur lebenslänglich, sondern systemlebenslänglich.
Die entscheidende Stellschraube zu der notwendigen Anpas sung an die neue menschliche Gestaltungsverantwortung in dieser neuen Situation ist die Bildung. Weil wir eine völlig neue Bildung brauchen, müssen wir den Begriff der Bildung praktisch neu erfinden. Wenn wir dies nicht oder nicht schnell genug leisten, drohen uns serienweise Gefahren von systemischer Tragweite. Wenn Bildung weiterhin auf Wissensvermittlung setzt statt auf das Erlernen jener Kompetenzen, mit denen sich jeder Mensch permanent neues Wissen in jeder Lebensphase und in jeder Lebenswelt effektiv und kreativ aneignen kann, werden selbst unsere »wissensstärksten« Eliten immer lebensuntauglicher in einer Welt, die sich immer schneller wandelt und damit permanent neue Fähigkeiten verlangt. Wenn unsere Bildung weiterhin so praxisfern bleibt, fallen wir in kürzester Zeit noch mehr hinter jene Länder zurück, die in dieser Hinsicht schon sehr viel bessere Bildungsangebote haben. Unser Wohlstand ist dann im globalen Wettbe werb akut gefährdet, unsere Sozialsysteme werden immer weniger finanzierbar sein und zusammenbrechen, Depression und Hoffnungslosigkeit, die schon jetzt insbesondere auch unter den jun gen Menschen sich ausbreiten, werden sich zur neuen Volksseuche unserer Gesellschaft entwickeln. Wenn unsere Bildung weiterhin so viele Verlierer produziert, die bestenfalls noch Arbeit in einem »Niedriglohnsektor« finden ohne Aussicht, ihr Leben aus eigener Kraft finanzieren zu können, dann schlittern wir munter weiter in eine neue Klassen-, wenn nicht Sklavenhaltergesellschaft, in der für einen kleinen Teil der Menschen unendlich viele Lebensgestaltungschancen vorhanden sind und für den großen Rest die Chancenlosigkeit immer aufwendiger »organisiert« werden muss.
Wir können sehr wohl lernen, auf diese Gefahren intelligent und verantwortungsvoll zu antworten. Nur: Wir müssen es wollen, und wir müssen das Notwendige tun. Auf alle Fälle dürfen wir uns nicht länger der Illusion hingeben, unser Bildungssystem sei im Großen und Ganzen zukunftstauglich und ein paar kleine Korrekturen würden ihm wieder zur erforderlichen Effizienz verhelfen. Die Anforderungen an Bildung haben sich radikal verändert und verändern sich weiter in dem Maße, wie sich Tempo und Tiefe des Wandels in unserer gesamten Gesellschaft verändern.
Wir haben in fast allen Bereichen der Gesellschaft eine regelrechte »Rulebreaker«-Kultur etabliert: In der Forschung, in den Thinktanks, in der Wirtschaft hat man verstanden, dass die Hinterfragung der etablierten Regeln und die Suche nach möglichen neuen Spielregeln den stärksten Motor für bahnbrechende Innovationen bedeuten. Wir brauchen eine Balance in der Rulebreaking- und Innovationskultur: Die weit entwickelte Innovationskultur in Forschung und Technik sowie in der Wirtschaft bedarf einer entsprechend schnell aufholenden Entwicklung einer Inno vationskultur in gesellschaftlichen Fragen und Konzepten. Der Be griff, der sich hierfür etabliert hat, ist social innovation .
Soziale Innovationen betreffen jedoch keineswegs nur den klas sischen sozialen Sektor. Nach Winfried Kretschmer sind darunter alle »Hebel, die Einzelne an der – abstrakten – Gesellschaft ansetzen können« im Sinne von »bewussten Akten der Veränderung« zu verstehen, also die Gesamtheit aller partizipativen Handlungen von Menschen, ihre aktive, kreative und verantwortungsvolle Mitgestaltung unserer Gesellschaft und Lebenswelten. Bedeutende soziale Innovationen in diesem Sinne waren zum Beispiel die Bürger- und Menschenrechte, die Demokratie, die Emanzipation der Frauen, aber auch Genossenschaften, Sozialversicherungen, Kin dergärten, das Prinzip der Nachhaltigkeit, die Entstehung von Bür gerinitiativen, das Internet, social media , social business , Minikreditbanken usw.
Doch soziale Innovationen sind zeit- und strukturabhängig, das heißt, sie müssen den allgemeinen Entwicklungen immer wieder angepasst werden. Heute liegt der Schlüssel für die Entfaltung von sozialen Innovationen, für die Etablierung einer Kultur der social innovation und damit der Chance auf eine
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