Edvard - Mein Leben, meine Geheimnisse
wie dieser armselige Henk zu machen.« Henk bekommt, wenn meine Mutter von ihm spricht, neuerdings immer irgendein Adjektiv vor seinen Namen geklatscht. Immer ein anderes, nie eins, das ihm gefallen würde.
»Mama, ich bin kein Mobbingopfer, ich war einfach nur genervt«, sage ich.
»Natürlich bist du ein Mobbingopfer. Verdrängung und Selbstverleugnung sind ebenfalls typisches Opferverhalten. Wir sollten mal mit einem Psychologen darüber reden. David?«, brüllt sie in Richtung Haus.
Man hört schwach das Gemurmel von meinem Vater.
»Wie heißt diese Psychologin, die deine ganzen Sänger und ersten Geigen therapiert?«
»Constanzes Mutter ist in Therapie?«, fragt Arthur interessiert. Natürlich weiß jeder, dass ihre Mutter an der Oper singt, an der mein Vater Generalmusikdirektor ist.
Mein Vater ruft irgendwas aus dem Haus zurück, das ich nicht verstehe.
»Prima, sag ihr, unser Sohn möchte sie gerne kennenlernen. Einmal die Woche, wenn das reicht.«
»Möchte ich nicht! «, sage ich.
»Dann hätten wir das ja geklärt. Und seid nett zu – wie heißt du noch mal?«
»Piesel«, sagt Piesel.
»Ach, schön«, sagt Mama und strahlt ihn an. »Kann ich dir was anbieten?«
»Bier und ’nen Joint?«, sagt Piesel und grinst.
Mama lacht, klopft ihm auf die Schulter und sagt: »Ich hol dir eine Cola und einen Aschenbecher, aber übertreib es nicht.«
Meine Eltern sind wahrscheinlich die einzigen Eltern, die es als ein Zeichen gelungener Erziehung sehen, wenn ihr vierzehnjähriger Sohn weiß, wie Bier schmeckt und er schon mal an einer Zigarette gezogen hat. Und die es unterstützen, dass er mit Punks wie Piesel befreundet ist, statt ihn rauszuwerfen und sich mit dessen Eltern in Verbindung zu setzen, weil er im Garten vor den Augen von vier beeinflussbaren, pubertierenden Jugendlichen in aller Seelenruhe einen Joint dreht, und das, wo er doch selbst noch ein pubertierender Jugendlicher ist.
Anselm, Arthur, Karli und ich sehen Piesel jedenfalls mit verschränkten Armen dabei zu, wie er sich mit Tabak, Blättchen, einem bräunlichen Klumpen und Filter abmüht, und ich glaube, wir wissen alle vier, dass er das längst noch nicht so oft gemacht hat, wie er behauptet. Vielleicht bastelt er auch gerade zum ersten Mal eine Tüte und weiß nur, wie es auszusehen hat, weil er seinem Bruder immer zuschaut. Vielleicht raucht er in Wirklichkeit nicht mal, jedenfalls nicht auf Lunge.
Mama bringt uns ein paar Flaschen Cola, nimmt Piesel das Zeug aus der Hand, und ich denke schon, sie nimmt es ihm ab, weil sie es doch nicht so toll findet, wenn Minderjährige in ihrem Garten einen Joint rauchen. Aber dann baut sie ihm schneller eine Tüte zusammen, als ich »Piesel hat sie nicht mehr alle« sagen kann, und verzieht sich wieder ins Haus.
Piesel schaut ganz schön verkniffen, aber dann zündet er sich das Ding umständlich an und pafft daran rum. Wir lästern weiter über alle möglichen Serienfiguren aus dem Fernsehen, als im Gebüsch etwas raschelt.
Pudel hat ein Loch in der Hecke gefunden und sich zu uns durchgequetscht. Piesel kreischt laut, als er ihn sieht, und lässt seinen Joint fallen. Wir lachen ihn aus, und er jammert rum, dass er ’ne Hundehaarallergie hat und deshalb ganz schnell nach Hause muss. Ich glaube, er hat einfach nur Angst vor Hunden. (Die Tüte nimmt er aber mit.)
Pudel schnüffelt an uns und legt sich dann zwischen Anselm und Karli, die ihn beide begeistert kraulen. Irgendwann hauen Arthur und Anselm ab. Einer von Arthurs vielen Brüdern hat Geburtstag, und Anselms Oma ist gerade zu Besuch. Karli spielt noch mit Pudel. Ich surfe mit ihrem Smartphone im Netz, immer mit einem Auge in Richtung Haus, falls meine Eltern rauskommen. Das würden sie ja dann von meiner Internetzeit abziehen.
»Warum eigentlich Edvard?«, fragt sie.
»Weißt du doch. Wegen Grieg. Na ja, und wegen Munch.«
»Wegen dem auch noch?« Karli lacht.
»Mein Vater steht auf die Musik von Grieg und meine Mutter auf die Bilder von Munch. Sie wollten mir auch im Namen einen Teil von sich mitgeben, haben sie gesagt.«
»Nett.« Sie wirft ein Stöckchen. Pudel brettert in einen Busch, um es zu holen. »Und jetzt bist du voll musikalisch und malst wie ’ne Eins?«
»Ich kann mir keine einzige Melodie merken, und nachdem mein Vater vergeblich versucht hat, mir den Unterschied zwischen einer Quarte und einer Quinte zu erklären, war er reif für die Psychiatrie. Und was die Malerei angeht, da krieg ich keinen geraden Strich
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