Effington 06 - Verborgene Verheissung
würde weiterleben, er hatte Freunde und Familie und Menschen, denen er etwas bedeutete. Die Mädchen hatten niemanden, denen sie wirklich etwas bedeuteten. Niemanden, der ihr Überleben sicherte. Ohne ihre Tante würden sie genauso aufwachsen wie Gwen selbst.
Und das konnte sie nicht zulassen.
Ganz gleich, welchen Preis sie dafür bezahlen musste.
Achtzehntes Kapitel
Keine Macht der Welt kann es mit einem Mann aufnehmen, der lieht. Er ist eine Kraft, die seihst die Natur nicht besiegen kann.
Colette de Chabot
»Godfrey!«
Marcus schlenderte in die Eingangshalle von Holcroft Hall, Whiting auf den Fersen. Es war schon später Vormittag, viel später, als er gehofft hatte, doch daran konnte er nichts ändern. Diese ganze Angelegenheit war viel komplizierter, als er erwartet hatte.
»Ja, mein Herr?« Wie immer tauchte Godfrey aus dem Nichts auf.
»Hol Mr. Whiting etwas zu essen und zu trinken, und für mich auch eine Kleinigkeit. Lass es in der Bibliothek servieren und bitte Lady Pennington und Lord Berkley, uns Gesellschaft zu leisten. Sofort.«
»Lord Berkley ist bereits in der Bibliothek, Sir, mit Lord Townsend ...«
»Ausgezeichnet.« Marcus ging auf die Tür zu.
»Welche Lady Pennington wünschen Sie zu sehen, Mylord?«
»Alle, die du finden kannst«, sagte Marcus über die Schulter.
»Sir, ich muss Sie darauf hinweisen, dass das etwas schwierig werden könnte«, rief ihm der Butler nach.
»Tu, was du kannst, Godfrey.« Marcus öffnete energisch die Tür zur Bibliothek und trat beiseite, um Whiting vorzulassen. Wahrscheinlich war es sogar leichter, mit Townsend zu sprechen, wenn Gwen nicht anwesend war, und auch seine Mutter nicht. Sie liebte die Mädchen ebenfalls abgöttisch.
Townsend und Reggie saßen sich gegenüber, jeder mit einem Glas Brandy in der Hand, in einer sehr angespannten Atmosphäre. Marcus fragte sich, wie lange die beiden wohl schon allein hier waren. Bei seinem Erscheinen sprangen beide auf.
»Hast du sie gefunden?« Reggie trat mit besorgtem Gesichtsausdruck auf ihn zu.
Marcus blieb stehen und sah ihn verwirrt an. »Wen gefunden?«
Reggie und Townsend sahen sich unbehaglich an.
»Wen soll ich finden?«, wiederholte Marcus. Langsam wurde ihm unheimlich zumute.
Reggie wand sich. »Der Bote hat dich also nicht erreicht? Ich habe einen Diener ausgeschickt, sobald ich ...«
»Wen soll ich finden?«, polterte Marcus.
»Meine Cousine und die Kinder«, antwortete Townsend. »Sie sind fort. Offenbar haben sie mitten in der Nacht das Haus verlassen.«
»Wir haben ihr Verschwinden erst vor etwa einer Stunde bemerkt.« Reggie zuckte hilflos die Schultern. »Wir hatten keine Ahnung, wo sie sein könnten, und dachten, es wäre das Beste, auf dich zu warten, bevor wir sie suchen.«
»Verflucht.« Marcus knirschte mit den Zähnen. Er war nicht überrascht. Überhaupt nicht. Er hatte wahrscheinlich schon letzte Nacht geahnt, dass sie so etwas vorhatte, und es einfach nicht wahrhaben wollen. Oder vielleicht konnte er einfach nicht glauben, dass sie so töricht sein würde.
»Sie hat eine Nachricht hinterlassen.« Reggie deutete mit dem Kopf auf den Schreibtisch. Er wirkte zerknirscht, als sei das alles seine Schuld.
Marcus schnappte sich das Papier. Er faltete es auf und überflog schnell den Text.
In nur drei Zeilen erklärte Gwen, dass sie nicht ihm misstraute, sondern dem Rest der Welt. Dass sie tat, was sie für das Beste hielt. Und dass sie ihn für immer lieben werde.
Er starrte die saubere Handschrift lange Zeit an. Eine merkwürdige Leere ergriff von ihm Besitz, er musste sich mit aller Kraft konzentrieren.
Sie hatte ihn verlassen. Hatte getan, was sie immer tat, wenn sie keinen Ausweg wusste: weglaufen. Nur hatte sie dieses Mal sein Herz mitgenommen.
Bevor er noch einen Funken von Bedauern oder ein Minimum an Kummer oder einen Anflug von Schmerz spüren konnte, war er schon von wilder Entschlossenheit erfüllt.
»Das glaube ich nicht, Miss Townsend.« Er zerknüllte den Brief in der Hand. Er hatte sein ganzes Leben auf die Liebe gewartet. Er sollte verdammt sein, wenn er sie nun einfach entkommen ließe.
»Marcus?« Reggie trat auf ihn zu und legte die Hand auf den Arm seines Freundes. »Geht es dir gut?«
»Nein. Ich bin furchtbar müde, und das Letzte, was ich jetzt möchte, ist, meiner Frau durchs ganze Land hinterherzujagen. Aber Reggie«, er sah dem Freund in die Augen, »genau das werde ich tun.«
»Bist du sicher, dass das klug ist?«, fragte Reggie
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