Egeland, Tom
das Leben eines großen Humanisten in der Hand. «
Er gießt uns beiden Sherry nach. Wir bleiben schweigend sitzen. Die Minuten vergehen.
Ich frage: » Wenn all das, was Sie mir erzählt haben, stimmt –was ist dann wirklich geschehen? «
Er schlürft den Sherry und schmatzt mit der Zunge, um jede kleine Note herauszuschmecken. Langsam und konzentriert lässt er seinen Blick von Kaminfeuer zu mir schweifen.
» Es ist nicht leicht, Ihnen eine Erklärung zu geben, die sofort glaubhaft wirkt «, sagt er und stellt sein Glas ab.
Ich nicke langsam.
» Wenn uns erst einmal eine gewisse Vorstellung mit dem Gewicht von zweitausend Jahren eingehämmert worden ist «, sagte er, » bedarf es viel, um eine andere Darstellung zu akzeptieren. Man ist ganz einfach nicht offen für den Glauben an eine andere Version. «
» Sie haben mir bereits das Wichtigste gesagt: Jesus hat die Kreuzigung überlebt. «
Erst jetzt bemerke ich, wie erschöpft MacMullin aussieht: alt, müde. Als habe ihn das Gespräch seiner letzten Kräfte beraubt. Seine Haut ist fahl und feucht, die Augen matt.
» Es gibt wohl Leute, die das als Komplott bezeichnen würden «, sagt er. Die Worte kommen langsam, nachdenklich. » Andere als Geniestreich. Wie auch immer, es muss sich um den größten Betrug der Weltgeschichte handeln. «
» Aber was ist mit Jesus geschehen? «
Sein Gesicht erfährt eine Veränderung. Als erzähle er mir etwas, was er selbst erlebt hat, an das er sich aber nicht mehr so gut erinnern kann, weil es schon zu lange zurückliegt.
» Was also ist geschehen? «, fragt er und bleibt lange schweigend sitzen, bis er fortfährt: » Bewusstlos wurde Jesus vom Kreuz genommen und in das Leichentuch gewickelt, das später so berühmt und umstritten sein sollte. Ja doch, es ist sein Abdruck, der sich auf dem Turiner Leichentuch findet. Ein chemischer Prozess, nicht mehr und nicht weniger. Allem Anschein nach leblos wurde er in die Grotte gebracht. Nur sein engster Kreis war bei ihm. Diejenigen, die wussten , dass er nicht tot war. Für alle anderen –die Zuschauer, Soldaten –war es eindeutig, dass er uns verlassen hatte. «
» Und dann? «
» Keiner kennt die Einzelheiten über die weiteren Geschehnisse. Es gibt nur vage Andeutungen in uralten, geheimnisvollen Schriften. Irgendwann, als man sich sicher glaubte, vermutlich im Schutz der Dunkelheit, wurde Jesus aus dem Leichentuch gewickelt, das in der Grotte verblieb, und in ein geheimes Versteck transportiert. Wir nehmen an, dass er dort mehrere Wochen verbracht hat, während die Frauen seine Wunden pflegten und ihn versorgten. Und weiterhin die Geschichte von dem Engel an dem leeren Grab verbreiteten. «
» Die die Evangelisten mehr als vierzig Jahre später entsprechend ausbauten «, ergänze ich.
MacMullin betrachtet mich mit unergründlicher Miene.
» Fahren Sie fort! «, bitte ich.
» Über diese Zeit wissen wir nicht viel, aber wir können wohl annehmen, dass er langsam wieder zu Kräften kam. Ich stelle ihn mir hinter irgendeinem Vorhang in dem Haus eines reichen Mannes vor. Umgeben und gepflegt von seinen Anhängern. Und als er schließlich wieder gesund und bereit war … floh er aus dem Heiligen Land. «
» Er floh? «, stieß ich hervor. Ein bisher verborgener Zusammenhang beginnt sich mir zu offenbaren.
» Seine Zeit war vorüber: Ihm blieb keine andere Wahl. Außer dem Tod. Gemeinsam mit seinen Jüngern beugte er sich der Übermacht. In Verkleidung verließ er Jerusalem. Gemeinsam mit Maria Magdalena, Josef von Arimathäa und einer Gruppe seiner überzeugtesten Anhänger. Nicht einmal alle Apostel wussten von der Flucht. Ihnen wurde eine andere Geschichte aufgetischt. Die Auferstehung. Die offizielle Version. Und wie Sie sicher genau wissen, haben sie diese Version akzeptiert. Sie wurde zu einer historischen Tatsache. Zu einer Religion. «
» Was geschah mit Jesus? «
» Er reiste fort. «
» Wohin? «
» An einen Ort, an dem er in Frieden leben konnte. «
» Ich habe einmal eine Geschichte gehört, dass er nach Kaschmir gegangen und dort eine Gemeinde gegründet haben soll. «
» Die Kaschmir-Legende ist eine gut konstruierte Fälschung. «
» Was ist also wirklich geschehen? «
» Jesus und sein Gefolge reisten nach Westen, über den Landweg zur Küste, wo ein Schiff auf sie wartete. Von dort segelten sie in ein friedliches Versteck. «
» Wohin? «
Er sieht mich überrascht an. » Haben Sie es noch immer nicht verstanden? «
» Was verstanden? Wohin
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