Egeland, Tom
genau hinzuschauen? Ein listiges kleines Arrangement, das schließlich auch all seine Probleme mit diesem jüdischen Aufwiegler namens Jesus beseitigte. «
Ich verdrehe die Augen, aber er bemerkt es nicht.
» Wenn wir die Umstände der Kreuzigung betrachten, müssen wir dabei berücksichtigen, was man in der damaligen Zeit von Jesus dachte «, sagt MacMullin. » Wer war er für jene damals? Ein politischer Aufrührer! Kein Gott! Denken Sie daran, wie viele selbst ernannte Propheten es in dieser Zeit gab. Verkünder, Wahrsager, Fakire, Seher, Orakelbeschwörer … Jeder zweite Scharlatan war damals in der Lage, Wunder zu vollbringen. «
» Und warum beten wir ihn dann noch immer an? Etwas muss ihn doch aus der Menge hervorgehoben haben? «
» Er hatte Macht über seine Worte. Seine Sprache! «
» Und das war alles? «
» Seine Worte waren anders, sein Menschenbild war anders. Er erschuf ein neues Weltbild, mit dem Wert des einzelnen Menschen als Nabel des Daseins. Jesus war klug. Gütig. Er zwang seinen Anhängern keinen Gehorsam auf, wie es die alttestamentarischen Propheten des Jüngsten Gerichts taten. Er nahm die Liebe in sein Evangelium auf. Er lehrte uns Güte. Frömmigkeit. Nächstenliebe. Nichts davon gab es, vorsichtig ausgedrückt, in dieser Zeit. «
» Aber er war, wie Sie sagen, nicht der einzige Prophet. «
» Nur ganz wenige glaubten, dass Jesus der im Alten Testament angekündigte Messias war. Die Juden wollten ihn schon gar nicht haben. Er widersprach den Schriftgelehrten und widersetzte sich uralten jüdischen Lehrsätzen. Es ist die Zeit danach, angeführt von den Aposteln und Evangelisten, die das Bild von der Göttlichkeit Jesu erschaffen hat. Durch die Ausschmückungen der Geschichte seines Lebens und seiner Lehre. In dem die Evangelien exakt auf ihre Leser und ihre Zeit zugeschnitten wurden. Sie strichen Passagen und fügte n a ndere hinzu. Andere veränderten noch mehr. Warum sollen wir auf so alte und unkontrollierbare Abschriften von Abschriften vertrauen? Es gibt keine schriftliche Dokumentation über Jesus, die zu seinen Lebzeiten gefertigt wurde. All das, was uns heute vorliegt, ist in der Zeit danach verfasst worden. «
» Sie reden und reden. Nichts von dem kann aber bestätigen, dass die Kreuzigung ein Bluff war. «
» Aber sie war kein Bluff! « MacMullin beugt sich zu mir vor. » Hören Sie mir doch zu! Die Kreuzigung hat stattgefunden. Was ich Ihnen sagen will, ist bloß, dass sie andere Folgen hatte, als die, die uns die Bibel weismachen will. «
» Und eine so absurde Behauptung begründen Sie mit Indizien? «
MacMullin lacht glucksend. » Sie sind hartnäckig! Das gefällt mir! Ich will meine Behauptung nicht beweisen. Ich kenne die Wahrheit. Ich versuche, Ihnen aufzuzeigen, dass ein Teil der Widersprüche in der Bibel und der Geschichte erst aus einem neuen Verständnis heraus Sinn machen. «
» Einem neuen Verständnis? Was für ein Verständnis? Ich verstehe überhaupt nichts! «
Es blinkt munter in seinen Augen. » Lassen Sie mich Ihnen noch ein Beispiel geben. «
» Einen Beweis? «
» Ein Indiz. Nach der Kreuzigung brach Pontius Pilatus alle römischen Regeln, indem er Josef von Arimathäa Jesu Leichnam überließ. In der griechischen Bibelübersetzung bittet Josef darum, das soma ausgehändigt zu bekommen –einen lebenden Körper. Pilatus spricht in seiner Antwort von dem ptoma –einem Leichnam. Wie ist diese Fehldeutung zu verstehen? «
» Ist das eine Frage? Ich bin nicht sonderlich firm in Fragen der Bibelübersetzung. «
» Warum hätte Pilatus überhaupt sein Einverständnis dazu geben sollen, dass Jesu Leichnam einem seiner Anhänger übergeben wurde? Sie riskierten, damit einen Märtyrer aus ihm zu machen! Oftmals wurden die Gekreuzigten überhaupt nicht begraben, sondern den Naturkräften und den Vögeln überlassen. Für die Römer war Jesus in erster Linie ein lästiger Rebell. Ein Unruhestifter und Agitator, den es aus der Öffentlichkeit und aus dem Bewusstsein der Menschen zu entfernen galt. Die Behauptung, er sei Gottes Sohn, erachteten sie selbst als eine kuriose Randerscheinung. Die Römer hatten ihre eigenen Götter. Sie verstanden wohl auch nicht, warum der Jehova der Juden seinen Mensch gewordenen Sohn von einem armen jungen Mädchen hätte gebären lassen wollen, das mit einem Zimmermann verlobt war. Die ganze Tradition widerspricht dem Wohlwollen, das die Römer nach der Kreuzigung Jesu gezeigt haben –es sei denn, mächtige Männer
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