Egeland, Tom
renne die Treppen hinunter und nach draußen auf die Straße. Der rote Range Rover ist verschwunden. Das ist nicht so schlimm. Der Fahrer sah groß und stark aus. Er kann ja auf seine Freundin gewartet haben.
Ich weiß nicht, wer Dr. Rutherford, Director of the Royal British Institute of Archaeology ist. Oder wie einfach er glaubt, mich hinters Licht führen zu können. Aber zwei Sachen weiß ich: Es gibt kein Royal British Institute of Archaeology.
Und ich dachte, ich sei der Einzige auf der ganzen Welt, der den Verdacht hegte, dass Papas Tod kein Unfall war.
12
PAPA IST AUF DEM FRIEDHOF in Grefsen beerdigt worden. Ein einfacher Stein unter einer alten Birke. Mama bezahlt jährlich eine feste Summe, damit das Grab gepflegt wird.
Ich hocke mich vor den Granitstein. Papas Name ist in den rötlichen Stein gehauen. Keine Jahreszahl. Nichts, das Papa in der Zeit fixieren würde. Nur der Name. Birger Beltø. Mama und ich wollten das so.
In einer braunen Papiertüte habe ich einen Topf mit gelben Lilien mitgebracht. Ich pflanze sie vor den Grabstein. Damit sie Papa leuchten. Wo auch immer er ist.
∗ ∗ ∗
I m Wald zwischen Großmutters Sommerhaus und dem Kloster Værne befindet sich unter den großen Eichen eine alte Grabstätte. Unter der Eisenplatte, auf der die Schrift längst verwittert ist, ruhen Menschen, deren Identität mich immer interessiert hat. Sie hätten einmal das Kloster Værne besessen, sagte Mama. Deshalb sei es ihnen gestattet worden, eine Grabstätte im Wald anzulegen. Ich weiß noch, dass ich dachte: während der Rest von uns auf die Friedhöfe verwiesen wird.
∗ ∗ ∗
A uf dem Parkplatz sitzen zwei Männer auf der Motorhaube eines roten Range Rovers. Ich hatte das Auto im Rückspiegel, als ich von zu Hause wegfuhr. Als sie mich erblicken, springt einer von ihnen nach unten und kommt auf mich zu. Er sieht aus wie King Kong. Es gelingt mir, mich in den Wagen zu setzen und die Tür zu schließen, ehe er da ist. Er klopft ans Seitenfenster. Seine Finger sind dick und behaart. Er trägt den Siegelring einer ausländischen Schule. In der freien Hand hält er ein Handy. Ich starte Bollas Motor und beginne, au s d er Parklücke herauszusetzen. Er packt den Türgriff. Vielleicht erwägt er, das Auto mit Macht zurückzuhalten. Es würde mich nicht wundern, wenn er es schaffen würde.
Zum Glück lässt er los. Im Rückspiegel sehe ich, dass er zurück zu seinem eigenen Auto rennt.
Bolla ist nicht dafür geschaffen, anderen Autos davonzurau schen. Ich versuche es nicht einmal. Ruhig fahre ich den Kjelsåsveien empor. Als der Bus von einer Haltestelle losfährt, bleibe ich dahinter. So werden wir zu einem kleineren Konvoi. Der Bus, Bolla und der rote Range Rover.
Am Wendeplatz der Sackgasse zwischen Kjelsås und Lofthus folge ich dem Bus durch die Verkehrsschleuse. Dann trete ich auf die Bremse. Zufrieden sehe ich zu, wie sich die Schranke zwischen mir und dem Range Rover herabsenkt.
II
Der Heiligenschrein
1
» JA, SO WAS, Lillebjørn. Bist das wirklich du? «
Sie ist alt geworden. Für mich war sie immer schon reichlich erwachsen (vielleicht ist reif das Wort, nach dem ich eigentlich suche), aber sie trägt die Jahre mit einer weltgewandten, jugendlichen Würde. Als ich ihr zum ersten Mal begegnet war, hatte sie die silberblonden Haare nach hinten gekämmt und trug enge, gewebte Kleider und schwarze Netzstrümpfe. Jetzt erkenne ich, wie die letzten Jahre an ihr gezehrt haben. In dem schmalen Gesicht, aus dem mich ihre Augen höchst lebendig anstrahlen, zeichnen Altersflecken und Falten eine Karte des Verfalls. Ihre Hände sind dünn und zittrig wie die Krallen eines jungen Spatzen. Durch die glänzend weißen Haare kann ich ihre Kopfhaut sehen. Sie neigt den Kopf. » Es ist eine Weile her, dass wir … «, sagt sie fragend, abwartend. Ihre Stimme klingt zart, weich. Es gab eine Zeit, in der ich in sie verliebt war.
Das Lächeln ist das gleiche, der Blick ist der gleiche, aber die Farbe ist verblichen. Sie tritt einen Schritt zur Seite und lässt mich herein.
Die Wohnung ist unverändert: riesig, übermöbliert, dunkel und voller schwerer Düfte. Zimmer auf Zimmer auf Zimmer. Türen, umfasst von schweren Rahmen. Decken, verziert mit Stuck. Auf den Kommoden und schmalen Absätzen hat sie die biblische Geschichte mit kleinen Nippesfiguren nachgestellt. Moses auf dem Berg Sinai. Maria und das Jesuskind im Stall. Die Bergpredigt. Die Kreuzigung. In kleinen Korbsesseln und Puppenwagen aus
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