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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frevel
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Schranke warten, ehe Diane die Tiefgarage verlassen und sich in den Verkehr einfädeln kann. Eines der vorbeifahrenden Autos macht vor dem Eingang des Hochhauses eine Vollbremsung. Es ist ein sandfarbener BMW 745. Ich kann die Insassen nicht erkennen. Aber es können unmöglich sie sein.

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ZWEITER TEIL
DER SOHN

IV
Geheimnisse, Lügen, Erinnerungen
    1
    Es WAR IN DEM SOMMER, in dem Papa starb.
    Verwundet durch Rodungsflächen und Überlandleitungen breitet sich der alte Wald wie zum Trotz aus.
    Es liegt jetzt zwanzig Jahre zurück, aber wenn ich die Augen schließe, gelingt es mir noch immer, die Bilder und Stimmungen aus diesen Sommerferien heraufzubeschwören. Warme Fleckchen im Garten meiner Erinnerung. Die lange Autofahrt … Der Himmel über uns war durchsichtig. Das Radio rauschte, der Sender wechselte immer wieder die Frequenz. Im Halbschlaf und mit leichter Übelkeit von der Fahrt hing ich auf dem Rücksitz und starrte durch das halb geöffnete Fenster, im Straßengraben schwirrten Schwärme von Mücken über dem hohen, gelblichen Gras. Die Hitze war voller schwerer Düfte. Kalte Seen schimmerten wie Splitter von Spiegeln zwischen den Baumstämmen. Ich erinnere mich an eine alte Waldarbeiterhütte, die von Moos und Fäulnis aufgefressen wurde. An eine schlaffe Plastiktüte mit einer Ali-Kaffee-Reklame an einem Ast. Einen weggeworfenen Autoreifen. Gewaltige Felswände. Am Fuß der Hänge gurgelten Bäche, die in Betonröhren verschwanden. Wir fuhren an schwarzen Moortümpeln vorbei. Ich musste aufstoßen und schluckte alles wieder runter. Mama streichelte mir über die Stirn. Papa saß hinter dem Steuer, still und abwesend, daneben Trygve Arntzen, in bester Laune, die Beine auf dem Armaturenbrett. Schlammige Reifenspuren von irgendwelchen Baumaschinen verschwanden im Wald. Bauernhöfe mi t v ernagelten Fenstern und überwucherten Hofplätzen. Grabmale vergangener Zeiten. Auf einem der Höfe saß ein alter Mann auf einem Hauklotz und schnitzte. Wie ein vergessener Weihnachtsmann. Oder ein alter Onkel, der in der Zeit stecken geblieben war. Er blickte nicht auf. Vielleicht gab es ihn gar nicht.
    ∗ ∗ ∗
    D er Weg schlängelte sich über einen grasbewachsenen Hang nach oben. Zwischen den Bäumen war es dunkel, was die trockenen Wurzeln wie versteinerte Schlangen aussehen ließ. Feuchtes Moos wuchs über den Stümpfen. Papa war still. Mama summte ein Lied. Trygve ging etwas hinter ihr, ich ganz am Schluss. Wir müssen wie vier verirrte Sherpas ausgesehen haben. Die Gebirgsluft schwappte über uns, frisch und unverfälscht.
    ∗ ∗ ∗
    » Lillebjørn! «
    Fern und warm schlich sich Mamas Stimme in den Traum. Wie eine Liebkosung.
    » Bjørneman? «
    Sogar noch durch die Zeltplane blendete mich die Sonne. Es war bald neun Uhr. Ich sah zu Trygve, mit dem ich mir das Zelt teilte. Sein Schlafsack war leer, schlaff, etwas verdreht, wie eine abgestreifte Schlangenhaut. Schlaftrunken tauchte ich wieder in das klamme Dunkel meines eigenen Schafsacks ab.
    » Kleiner Prinz! Bjørn! «
    Mit einem hellen Laut öffnete Mama den Reißverschluss und steckte ihren Kopf ins Zelt. Ein Engelsgesicht, umringt von unbändigen Haaren.
    » Früüüüüüühstüüüück! «, sang sie.
    Sie begann, meinen Schlafsack wegzuziehen. Ich wehrte mich. Verbissen. In der letzten Zeit wachte ich morgens mi t s teifem Glied auf. Aber davon konnte ich Mama nichts erzählen.
    Auf Papptellern lag das Frühstück auf einer Decke zwischen den Zelten. Mit dem Taschenmesser geschnittene Brotscheiben. Butter. Salami. Wurst. Himbeermarmelade. Eier und Speck, auf einem Benzinkocher schwarz gebraten.
    Trygve klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter. Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert.
    Mama gefiel es nicht, dass Papa kletterte. Papa und Trygve hatten ihr die Sicherheitsmaßnahmen erklärt. Seil und Haken, Klemmkeile, Karabiner und Anker. Aber das hatte nichts geholfen. Sie hatte Angst, dass etwas passierte.
    Nach dem Frühstück schlenderten Mama und ich hinunter zum See zum Baden. Das Wasser war dunkel und klar. Ich fragte Mama, ob sie glaube, dass es Blutegel im Schilf gab. Sie glaubte es nicht. Als wir hineinwateten, fühlte sich das Wasser ganz warm an. Um uns herum trieben Wasserlilien. Wie in einem verzauberten Teich. Wir schwammen zur anderen Seite und kletterten auf einen sonnenwarmen Felsen. Mama schloss die Augen und legte die Hände hinter den Kopf. Im Wald flog ein Vogel auf, aber ich sah ihn nicht. Mit müdem Blick

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