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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frevel
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auf den er zeigen konnte, wenn Gäste kamen, um dann beiläufig zu erwähnen: » Den habe ich letzten Sommer in der Gegend von Juvdal geschossen. «
    Wir hockten still da und blickten über die Lichtung. Es duftete nach Laub und Gras und moorigem Boden. Vögel zwitscherten und raschelten im Schutz der Vegetation. Aber es war noch immer früh, und das Zwitschern klang eher halbherzig. Es war nicht leicht, sich so still zu verhalten. Jedes Mal, wenn ich gähnte, mahnte mich Papa zur Ruhe. Ich ärgerte mich, mitgekommen zu sein. Mama war so verdammt erpicht darauf gewesen, dass ich Papa begleitete.
    Ich sah ihn zuerst. Majestätisch trat er aus dem Wald auf der anderen Seite der Lichtung. Der Wind wehte uns entgegen, sodass er uns nicht witterte. Ein prachtvoller Hirschbock.
    Langsam und graziös kam er uns entgegen. Zupfte an den Blättern einer niedrigen Birke und blickte gebieterisch über die Landschaft. Das Fell war rotbraun und schimmerte blank. Wie Bronze. Das Geweih hatte die Form einer Krone.
    Ich sah Papa an. Er schüttelte den Kopf.
    Der Hirsch kam noch näher. Papa und ich wagten kaum zu atmen. Wir waren hinter dem Stamm jetzt vollkommen in Deckung gegangen.
    Plötzlich warf das Tier den Kopf zurück.
    Trat einen Schritt zurück.
    Warf sich herum.
    Dann fiel der Schuss.
    Ich drehte rasch meinen Kopf. Papas Winchester lehnte am Stamm zwischen uns.
    Er legte den Zeigefinger an die Lippen.
    Der Hirsch sank auf die Knie und versuchte, sich in Sicherheit zu schleppen. Der nächste Schuss fällte ihn. Er kippte auf die Seite. Einige kurze, schreckliche Sekunden lag er zitternd mit zuckenden Beinen da.
    Von irgendwo auf der anderen Seite der Lichtung war ein Triumphruf zu hören. Und dann noch einer.
    Ich wollte aufspringen, aber Papa hielt mich zurück.
    Sie waren zu zweit. Wilderer, erklärte Papa später. Sie wateten durch Farnkraut und tiefhängende Zweige. Der eine der beiden rief wie ein Indianer.
    Vor dem toten Tier blieben sie schwankend stehen und bewunderten es. Einer der beiden holte einen Flachmann hervor, trank ein paar Schluck und reichte ihn seinem Kameraden. Er hatte ein langes Messer in einer Scheide am Gürtel. Rülpsend zückte er es. Während sein Kamerad den Plastikbecher einer Thermoskanne unter den Hals des Tieres hielt, stach der andere in die Schlagader. Sie füllten den Becher mit Blut und mischten es mit dem Branntwein aus ihrem Flachmann. Dann tranken sie.
    Sie packten die Vorderbeine und wälzten den Hirsch auf den Rücken. In einer einzigen langen Bewegung brach der eine Mann das Tier auf. Begleitet von einem widerlichen, gurgelnden Laut zog er die Därme heraus auf den Boden, Meter um Meter stahlblauer, dampfender Schläuche. Dann folgten die Reste der Eingeweide. Der Gestank waberte zu Papa und mir.
    Beide saßen in der Hocke, und sie fanden, wonach sie suchten. Das warme Herz. Der Mann mit dem Messer schob die Zungenspitze in den Mundwinkel, als er zielte. Dann schnitt er das Herz durch. Als betreibe er mitten im dunkelsten Wald Herzchirurgie. Er gab seinem Kameraden die eine Hälfte.
    Sie begannen zu essen.
    Mir wurde schwindelig. Ich hörte sie schmatzen. Das Blut rann ihnen übers Kinn.
    Papa hielt mich, während ich mich lautlos erbrach.
    Die Wilderer zerteilten das Tier und zogen den Rumpf grölend und singend hinter sich her über die Lichtung. Als Papa und ich uns erhoben, lag der Kopf des Hirsches noch am Boden und starrte uns an.
    Die Fliegen hatten bereits begonnen, sich ihren Teil zu holen. Am Waldrand hörte ich einen Schwarm Krähen.
    ∗ ∗ ∗
    E s gibt Menschen, die glauben, dass man Vegetarier wird, um sich interessant zu machen. Das mag manchmal stimmen. Wobei manche von uns nie wirklich eine Wahl hatten. Wir wurden dazu getrieben. Durch die Barbarei des Blutes.
    2
    GRETHE IST NICHT ZU HAUSE.
    Ich hatte kaum etwas anderes erwartet. Trotzdem habe ich gerade fünf Minuten damit verbracht, unten auf der Straße ihren Klingelknopf zu liebkosen in der Hoffnung, die Sprechanlage würde plötzlich aufstöhnen oder Grethe mit einem verblüfften » Hallo, Lillebjørn! « um die Ecke biegen, in der Hand eine Plastiktüte vom Rema-Markt.
    Die Straßenbahn scheppert vorbei, laut wie ein Anhänger mit Schrott, was gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt ist. Auf dem Granitbaldachin über mir tummelt sich ein lüsterner Satyr mit einer Nymphe. Das Motiv erinnert an Diane und mich.
    Der gestrige Tag erscheint mir wie aus einem fast vergessenen Film. Wie ein Traum. Nicht

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