Egeland, Tom
ich Stimmen und Gelächter. Sie verwirren mich, bis ich begreife, dass im Nebenzimmer ein Radio spielt.
» In jenem Sommer. Dich. Den Professor «, sage ich.
Jedes Wort ist eine Unterwassermine. Es vergehen Sekunden, bis sie detonieren. Sie zuckt zusammen. Sechsmal.
Jedes der Worte hat sein Ziel am Grunde ihrer Seele getroffen.
Zuerst sagt sie nichts. Ihre Augen werden durchsichtig. Ich blicke tief in ihr Hirn. Es steht auf rewind. Sie spult die Zeit zurück. Im schnellen Rückwärtslauf sehe ich, wie Mama diesen Sommer rekapituliert. Und die verblichenen Liebkosungen des Professors zu neuem Leben erweckt.
» Uns? «, fragt sie noch einmal, als wolle sie mir die Chance geben, alles zurückzunehmen und zu sagen, es sei nur ein Spaß gewesen; in Wahrheit hätte ich gar nichts gesehen.
Aber ich schaue sie bloß an.
» O mein Gott, Lillebjørn! O mein Junge. «
Ich spüre, wie sich die Kiefermuskulatur anspannt.
Sie holt tief Luft. » Das hatte keine Bedeutung! «, platzt sie heraus. Ihre Stimme klingt kalt, abweisend. Man könnte meinen, sie verteidigte sich vor Papa. » Damals nicht! «
» Du hast ihn geheiratet. Ein bisschen muss es also wohl doch bedeutet haben! «
Ihr Blick ist fest, beleidigt. » Das war später. Da hatten wir ja … aber in dem Sommer … « Sie sucht nach Worten, die sie nicht findet.
» Du warst untreu «, sage ich.
» Papa und ich – wir hatten eine Vereinbarung. Wir haben uns niemals betrogen. Auch Papa … « Sie besinnt sich. » Wenn Papa noch leben … « Die Worte bleiben ihr im Hals stecken.
» Er war Papas Freund «, sage ich anklagend.
Sie nimmt meine Hand, schiebt ihre Finger nervös zwischen die meinen. Etwas zu schnell ziehe ich die Hand zu mir.
» Sogar auf der Zelttour habt ihr es getrieben. Direkt vor den Augen von Papa und mir!«
»Aber Lillebjørn! Mein Junge! Es wäre mir nicht einmal in den Sinn ge … Ich hatte ja keine Ahnung, dass du … Ich dachte, keiner von euch wäre … «
» Da irrtest du dich. «
Sie drückt meine Hand. Hart. » Mein Gott, Lillebjørn … Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich wusste ja nicht, dass du etwas bemerkt hast. Oder verstanden. Du warst ja noch so jung. «
» Ich war alt genug … «
» Es tut mir so Leid. Papa und ich waren diesbezüglich offen. Wir hatten darüber gesprochen. Das war eine andere Zeit, Lillebjørn. Ein anderer –Geist. Du musst versuchen, das zu verstehen. «
» Ich glaube, Papa hat das nicht verstanden. «
Mama blickt zu Boden. » Nein «, sagt sie, » im Grunde glaube ich das auch nicht. « Ihr Atem geht unrhythmisch, abgehackt. » Du hast Papa nie so gekannt, wie ich ihn gekannt habe «, sagt sie, als sie ihre Stimme wieder im Griff hat. » Er war nicht immer … « Traurig weicht sie meinem Blick aus. » Es wirkte immer so, als habe er alles unter Kontrolle, aber innerlich war er … «
Wir sehen einander an.
» Aber ich glaube nicht, dass er gesprungen ist«, sagt sie. »Wenn es das ist, worauf du hinauswillst.«
Die Frage muss seit mehr als zwanzig Jahren in ihrem Kopf herumgegeistert sein. Es verwundert mich, dass sie ihr wie ein zufälliger Gedanke über die Lippen kommt.
» Er kann auf so viele Arten gestürzt sein «, sage ich.
Die Andeutung, die Zweideutigkeit geht an ihr vorbei.
» Trygve hat alles so ernst genommen. Unser Verhältnis, meine ich. Viel ernster als ich. Für mich war das –ich weiß nicht. Eine Flucht? Ein Flirt? Eine Zerstreuung? Eine Abwechslung? Eine Unterbrechung meines Alltags? «
Fragend sieht sie mich an, nachdenklich, aber ich habe gewiss keine Antwort.
» Es war bloß ein Verhältnis. Eine Affäre. Etwas, das vorbeigegangen wäre. Aber dann geschah das Unglück. «
Eine Weile sitzen wir still zusammen.
» Und das schleppst du schon all die Jahre mit dir herum? «, fragt Mama. Sie scheint zu sich selbst zu sprechen.
Schweigend lasse ich sie die Tragweite dieser Frage selbst ergründen.
» Warum hast du nie etwas gesagt? «, hakt sie nach. Ihre Stimme hat einen scharfen Klang.
Ich zucke mit den Schultern, begegne ihrem Blick nicht.
» Mein Gott, Lillebjørn! Was musst du über mich denken? «
Darauf möchte ich am liebsten nicht antworten.
» Als dein Vater starb … «, beginnt sie, kommt dann aber nicht weiter. » Du darfst nicht glauben, dass das so leicht war. Jeden Tag habe ich versucht zu vergessen. «
» Mich auch? «
Sie legt den Kopf zur Seite. » Dich? «
Ich atme tief ein, um Kontrolle über meine Stimme zu bekommen.
Sie kommt mir
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