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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Krieg« eine »Doomsday Machine« ausdachte, die vollautomatisch bei einem Angriff der Sowjetunion die ganze Welt in die Luft sprengen sollte. Kahn selbst weist in dem Buch darauf hin, dass solch eine Maschine unzuverlässig wäre, und dementsprechend fand auch keiner der Generäle des Kalten Krieges die Idee besonders gut.
    Fünfzig Jahre später aber überschrieb der amerikanische Börsenjournalist Michael Lewis eine detaillierte Untersuchung zum Finanz-Crash und seinen Verursachern mit dem Untertitel: »Im Inneren der Doomsday-Maschine«.
    Keiner würde riskieren, die Welt untergehen zu lassen, wenn er selbst dabei draufginge, war die Logik der RAND -Leute.
    Keiner wird riskieren, uns untergehen zu lassen, wenn wir dafür eine ganze Welt in den Abgrund stürzen, war 50 Jahre später nachweislich die Logik der Too-big-to-fail-Strategen von Lehman bis AIG .
    Der emotionale Hype unter den amerikanischen Physikern ebbte Anfang der Siebzigerjahre bis zum Amtsantritt Ronald Reagans ab. Die Gehälter wurden schlechter und die Arbeitsbedingungen schwerer. Atombomben galten längst nicht mehr als »faszinierend«, und der gesamte militärisch-wissenschaftliche Komplex wurde in Folge des Vietnamkriegs und der 68er-Revolte mit Misstrauen betrachtet. Auch Herman Kahn hätte jetzt keine Säle mehr gefüllt.
    Als die ersten massiven Budgetkürzungen die Physik trafen und der Beruf des »Atomphysikers« nicht mehr Traumberuf jedes jungen Amerikaners war, erinnerten sich viele an ihre alten Freunde in den Wirtschaftswissenschaften, vor allem in dem Zweig, der bei den großen nuklearen Projekten und seinen Gedankenspielen mitgewirkt hatte.
    Zu diesem Zeitpunkt tauchten die Physiker zum ersten Mal an der Wall Street auf. Zwar unterbrachen Ronald Reagans Amts antritt und die sich um das SDI -Projekt explosionsartig ausbreitenden Fantasien den Exodus, aber der nicht militärische Kontakt der beiden Sphären, einer Sozialwissenschaft namens Ökonomie und einer Naturwissenschaft namens Physik, hatte etwas zur Welt gebracht, was uns für immer verändern würde: Es war der Beginn der »sozialen Physik«.
    Anfang der Neunzigerjahre begann die große Wanderung. Ältere Physiker verließen die militärischen Forschungsgebiete und heuerten bei Banken oder Fondsmanagern an. Zu Beginn waren diese »Quants« oder »Raketentechniker«, wie sie in Anspielung an das Manhattan-Atombomben-Projekt von der Wall Street genannt wurden, nichts anderes als menschliche Computer, sonderbare Figuren, leise verachtet oder verhöhnt von den »echten« Bankern.
    Ihr Sozialverhalten und ihre Kleidung irritierten. Der Physikerverband riet denen, die aus Laboratorien der Unis an die Wall Street wechseln wollten, zu ordentlichen Frisuren und gepflegtem Äußeren, zur chemischen Reinigung, zu Bescheidenheit in der Demonstration der eigenen Intelligenz und dazu, dem Hang des Physikers zur Selbstisolation entgegenzuwirken.
    Doch was hier geschah, war weit mehr als berufliche Veränderung: Hier wurden Wissenschaftler nicht nur frisiert und neu eingekleidet, hier wurde eine neue Spezies geboren.
    »Keinen Menschen interessieren diese Arbeiten«, sagte beispielsweise, fast vorbeugend, der Finanzwissenschaftler Jonathan Berk Mitte der Neunzigerjahre. 80 Doch schon wenige Jahre später hatten Physiker die Wirtschaftswissenschaftler in den Abteilungen für quantitative Analysen überrundet.
    Die eigentliche Geschichte der Quants beginnt in den Siebzigerjahren mit der Geburt der Formel, die »die Regeln, nach denen das Finanzsystem arbeitet, für immer verändern würde«. 81 Gemeint ist die Black-Scholes-Formel, mit der die Volatilität von Aktien unter bestimmten idealen Bedingungen vorausbe rechnet werden konnte (selbst in der Beschreibung von Modellen benutzt der Mensch Modelle).
    So erzählen heute selbst nüchterne Beobachter wie der Fi nanzjournalist und Publizist Scott Patterson die Wirkungsgeschichte der später mit dem Nobelpreis geadelten »Black-Scholes-Formel« als Geschichte von Einsteins Urformel, der Revolution des physikalischen Weltbildes, die zum Manhattan-Projekt und der Atombombe führte:
    »So wie Einsteins Entdeckung … veränderte die Black-Scholes-Formel dramatisch die Art und Weise, wie Menschen die riesige Welt des Geldes und der Investitionen betrachteten. Sie entfesselte gleichzeitig die innersten zerstörerischen Kräfte und ebnete den Weg für eine Serie finanzieller Katastrophen, die in dem erderschütternden Kollaps des August 2007

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