Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

des Internationalen Währungsfonds haben unter dem Eindruck des Desasters im Jahre 2010 eine ziemlich niederschmetternde Analyse des Systemversagens verfasst, die in ihren Augen ein Versagen aller ökonomischen Akteure gewesen ist. Sie schrieben den Agenten in Grund und Boden. 105 Und plädierten mit nur leicht ironischer Inbrunst dafür, dass die Branche einen neuen installiert. Als Bewerberin schlugen sie eine literarische Figur vor; Mrs. Rose aus Faulkners Kurzgeschichte »Eine Rose für Emily«. Es ist eine Horrorstory.

10 Nervensystem
    Zum ersten Mal wird klar: Man braucht
keinen Körper, um in der Welt zu handeln,
man braucht nur starke Nerven
    N ummer 2 ist kein Wesen mehr aus Papier. Er war, solange er nur in Büchern stand, unheimlich genug, aber vom Chicagoer Ökonomen Milton Friedman bis hin zu den Auswüchsen des Thatcherismus erkennbar als Ideologie. Erst die Elektrizität des Computers hat ihn zu dem gemacht, der er ist.
    Die Roboter-Idee, durch elektrischen Strom etwas anderes für sich handeln und denken zu lassen, ist so alt wie die Entdeckung der Elektrizität und so jung wie die Werbung für die neueste Küchenmaschine. Ehrfürchtige Besucher, die 1881 in Paris die bühnenreifen Verkaufsshows von Thomas Alva Edison besuchen, reden von einer »Geisterhand«, die Dinge an- oder ausschaltet, in Bewegung setzt oder einem wahlweise einen elektrischen Schlag verpasst.
    Licht, Wärme, Stromschlag und die unsichtbare Hand: Das ist die verführerische Kombination, die die Köpfe nicht nur mit Wissenschaft, sondern sogleich mit Magie auflädt. Kaum ist der Telegraf erfunden, versuchen Wissenschaftler Kontakt mit dem Jenseits aufzunehmen. Kaum ist das Telefon im Haus, klingeln wie in Kafkas Romanen anonyme Mächte an. Elektrizität ist eng verbunden mit der Angst vor Urkräften und vor Ungeheuern, die man in den Tiefen der Erde oder in sich selbst aufweckt.
    Eine Neunzehnjährige hatte den Urtext der Fantasie in einer Gewitternacht am Genfer See aufgeschrieben. »Vielleicht sollte man einen Leichnam wiederbeleben«, überlegte sie, »der Galvanismus hatte gezeigt, dass so etwas möglich sei: Vielleicht könnte man die Teile der Kreatur produzieren, zusammensetzen und mit Lebenswärme ausstatten.« 106
    Das Monster des Dr. Frankenstein, das durch Blitze und galvanischen Strom zum Leben erweckt wurde, stand bisher auch nur auf dem Papier. Es musste fast 150 Jahre im ewigen Eis überwintern, ehe es seine zweite Chance bekam. Alle Welt zitiert jetzt Frankensteins Monster, als hätte es wirklich existiert. Nicht die Fantasie, die Wünsche und Leidenschaften der Menschen, sondern nur die technischen Möglichkeiten, sie umzusetzen, haben sich verändert. Mary Shelleys »Frankenstein« war wie so vieles im 19. Jahrhundert ein Probelauf der Fantasie. Das Monster war da. Es fehlte nur der Lebensfunke.
    Wir leben im Zeitalter dieser zweiten Welle von Gedanken, Theorien und Ideologien, die einmal unter anderen Voraussetzungen ausprobiert wurden und gescheitert sind. Die Katastrophen des Finanzkapitalismus gehören dazu, die Mechanisierung von Menschen, die Zerlegung des menschlichen Selbst zum Zwecke besserer Ausbeutung, die Ökonomisierung sozialer Beziehungen – all das hatte bereits einmal geherrscht in den Labors der Alchemisten, im Zeitalter des Absolutismus, der industriellen Revolution und in den Industriekomplexen des frühen 20. Jahrhunderts.
    Beim ersten Mal ist es immer körperlich: Gold aus Blei machen, Tote durch Stromstöße zum Leben erwecken, Automaten zu Menschen machen. Unter enormen Mühen werden solche Visionen von Menschen immer wieder eingesperrt, in Höhlen oder an die Pole verbannt oder einfach für Kinderkram gehalten. Dort warten sie wie die griechischen Titanen unter der Erde oder wie Sauron in Mordor auf den Tag der Rückkehr in neuer Gestalt und unter besseren Bedingungen. Die kulturelle Fantasie kennt Hunderte solcher Geschichten. Genannt: die Rückkehr der freak animals, die Entfesselung der Monster.
    Dieser historische Hinweis ist wichtig, um zu verstehen, welche Träume wir gerade träumen. Die Geschichte beginnt nicht mit Apple oder Microsoft und auch nicht mit den ersten Rechenmaschinen des Computerpioniers Konrad Zuse. Die Software, die zu diesen Maschinen führte, besteht jahrhundertelang nicht aus mathematischem Code, sondern aus dem ökonomischen Wunsch nach einer Art Universalmaschine des Denkens, einem Automaten zur Kontrolle des Denkens, zur Belebung des Unbelebten, zur