Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Recherchen für dieses Buch geredet habe, können es nicht beantworten. Und das Selbstbewusstsein der Nachdenklichen ist nach drei rätselhaften Crashs längst nicht mehr das der Helden des Universums. Im Gegenteil: Einige der wichtigsten Denker haben die Wall Street verlassen und, wie beispielsweise der »Über-Quant« Emanuel Derman oder Nassim Taleb, Bücher geschrieben, die in ihrem wachrüttelnden Charakter an die Mahnungen selbstkritischer Atomphysiker in den Fünfzigerjahren erinnern.
Gewiss: Verunsichert von der Wucht der unerwarteten Krise, hat eine Reihe von Ökonomen sich Nummer 2, den man in den Modellen für den Menschen agieren lässt, noch einmal angeschaut. Manche, wie die Autoren des Internationalen Währungsfonds, haben bewiesen, dass eine verrückte Romanfigur besser für das Verständnis der Krise taugt als Nummer 2.
Der britische Wirtschaftswissenschaftler Geoffrey M. Hodgson plädiert vehement für eine »neue Ökonomie ohne homo oeconomicus«. 161 Verhaltensökonomen weisen die Widersprüche von Wirklichkeit und Modell aus. Und Gerd Gigerenzer, der große Berliner Bildungsforscher, beweist, dass Menschen und Natur nicht von einer Mathematik des Eigennutzes getrieben werden, sondern von Intuitionen und Heuristiken.
Umso merkwürdiger, dass wir das, was in den ersten automatisierten Märkten der Welt fast zu einer Katastrophe geführt hat, in unser gesamtes soziales Leben eindringen lassen.
Vieles spricht dafür, dass im Inneren der gegenwärtigen Finanz- und Europakrise ein viel grundlegenderer Konflikt schwelt, in dem es im Kern um die Implementierung der neoklassischen und neoliberalen amerikanischen Ideologie in die Gesellschaften, Mikro-Märkte und sogar in die konstitutionellen Ordnungen des europäischen Westens geht.
Es handelt sich dabei um die Überzeugung, dass jede Regierung – auch die amerikanische – nicht nur weniger weiß als der Markt (der ja nichts anderes als ein großen Computer ist), sondern dass Regierungen den Willen der Mehrheit nicht mehr zum Ausdruck bringen können.
17 Politik
Wie man Staaten in einem Käfig fängt
F ast zwei Jahrhunderte lang, seit dem ersten Erscheinen von Mary Shelleys »Frankenstein«, war unsere Fantasie auf das Erscheinen von Monstern trainiert worden. Sie sahen aus wie Boris Karloff, Godzilla oder Ridley Scotts »Alien«. Sie nahmen die Gestalt der kursierenden Ängste an, und wenn die Ängste gestaltlos waren, dann verkörperten sie, wie die Wesen unter der Atomwolke, deren genetische Mutation.
Der Informationskapitalismus hatte ein Wesen ausgebrütet, dessen genetischer Code sich in »toxischen Papieren«, die in Wahrheit elektronische Signale waren, unaufhaltsam fortpflanzte. Diese Kreatur hatte nicht mehr die Angewohnheit, Häuserblocks und ganze Städte zu zertreten. Sie hinterließ stattdessen eine Spur neuer Häuser und ganzer Stadtviertel, deren menschliche Bewohner zwangsgeräumt worden waren.
Sie, wie auch die fassungslosen Kleinanleger, die vor den Bildschirmen dabei zusehen konnten, wie sich ihre Altersversorgung in Luft auflöste, ahnten vielleicht zum ersten Mal, dass sie nicht in Seattle oder Solingen lebten, sondern in einer einzigen großen Maschine.
»Wir werden uns in digitalen Nachbarschaften sozialisieren«, hatte kaum zehn Jahre zuvor Nicholas Negroponte, einer der Vordenker des Informationskapitalismus, geschrieben, »in denen der physische Raum irrelevant geworden ist und Zeit eine ganz neue Rolle spielt.« 162
Nunmehr war genau das geschehen, aber ganz anders, als es einmal gedacht war: Es war nur noch der virtuelle Raum übrig geblieben.
Der neue »Big Brother«, wie das Monster von einigen etwas fantasielos genannt wurde, machte genau das, was der Soziologe Zygmunt Bauman vorausgesagt hatte: Er betrieb Ausschluss. »Er muss die Leute aufspüren, die an ihren Ort ›nicht passen‹«, schrieb Bauman, »er muss sie von jenem Ort vertreiben und dorthin bringen, ›wo sie hingehören‹, oder, noch besser, er sollte sie erst gar nicht irgendwohin kommen lassen.
Der neue Big Brother beliefert die Einwanderungsbehörden mit Listen von Leuten, die sie nicht ins Land lassen sollten, und die Bankiers mit Listen von Menschen, die sie nicht in die Gemeinschaft der Kreditwürdigen aufnehmen sollten.« 163
Überall geht es jetzt binär um Ausschluss oder Einschluss: von Google-Suchergebnissen über soziale Netzwerke, den noma dischen Occupy-Zeltstädten im Herzen der Finanzmetropolen bis hin zum wankenden »Haus
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