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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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auseinanderzuhalten. »In der Falle sein« ist eine der meistbenutzten Wendungen im Zusammenhang mit der Finanz- und Eurokrise, von der Liquiditäts- bis zur Verfassungsfalle.
    Die politischen Akteure sitzen in der Falle. Dass das so war, sagten sie selbst, sagten Medien, Analysten, sah jeder, der die Nachrichten anschaltete.
    Wie oft kann man »Falle« sagen, ehe man merkt, dass es wirklich eine ist? Schon die Sprache, selbst die Körpersprache der Politiker erinnert seit der Finanzkrise an Eingesperrte. »Fallensprache« ist eine Sprache, die um hundert Ecken denkt, Fluchten vortäuscht, wo keine sind, und Routine, wo bereits die Panik herrscht. Die Politiker suchen in abgeschotteten Räumen nach »Auswegen«, sie drehen sich im Kreise, verwenden Satzbildungen der Exklusion (»Es gibt keine Alternative«), Passiv-Konstruktionen des Erleidens (»Wie werden gezwungen«) und legen sich auf eine einzige Rationalität fest (»Scheitert der Euro, scheitert Europa«), die zur Räson aller anderen Käfiginsassen wird.
    Der Kalte Krieg ist zurückgekehrt, aber in Gestalt eines Kalten Kriegs, den sich die Gesellschaft selbst erklärt hat: Vor den EU -Gipfeln werden »Landungszonen« markiert, »Nachrüstung« angeboten oder angedroht, und zwischen den politisch Alliierten Konflikte scheinbar oder wirklich inszeniert, wo dann einzelne EU -Staaten »Siegesparaden« per Pressekonferenz abhalten, die von den anderen acht Stunden später zur »Kapitulation« umgedeutet werden, während gleichzeitig die Reaktion auf die »Märkte« und auf die eigene Bevölkerung getestet wird, entweder über Hinweise an die Medien, abrupte Drohungen mit Plebisziten oder deren erbitterter Bekämpfung – alles politische Praxis seit Jahren, alles Begriffe aus dem aktuellen politischen Diskurs. 165
    Interessant daran ist, dass die Staaten, oft ohne dass ihre Politiker es merken, von der Ökonomie längst als reine Mitspieler im Markt behandelt werden, nicht mehr als marktüberwölbende konstitutionelle Gebilde.
    Die Regierungschefs regieren die Länder nur noch partiell; Nummer 2, der weiß, wie man rationale Spiele spielt, drängt sich auch hier hinein. Konsequenterweise empfehlen Investmentbanken ihren Investoren, die gesamte europäische Krisenbewältigungspolitik nicht als Politik, sondern als nicht kooperatives Spiel zu lesen, das man, wenn man es durchschaut, ausbeuten kann. Das heißt: nichts glauben, das Schlimmste und das absolute Eigeninteresse annehmen und dann sehen, wie weit man strategisch kommt.
    »Glauben Sie nicht, dass die Sowjetunion uns aus irgendwelchen moralischen Bedenken nicht angreifen wird«, hieß das im Kalten Krieg. »Nur wenn man von dem Schlimmsten ausgeht, findet man eine rationale Strategie, um den Gegner auszutricksen.« Das war, wie gesagt, das Nash-Equilibrium.
    Und heute?
    »Sie lesen jetzt viel darüber«, schreibt das »Wall Street Journal«, als ginge es nicht um die Eurokrise des Jahres 2012, sondern um gegenseitige Abschreckung, »dass der Euro nicht zerbrechen wird, weil das schlecht für jedermann sein wird – weshalb die Politiker am Ende gemeinsam handeln und vernünftige Entscheidungen treffen werden. Glauben Sie das keinen Augenblick. Ein katastrophales Ergebnis ist ziemlich wahrscheinlich. Die einzige rationale Haltung ist, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.«
    Und weil die Zeitung von der höheren Weisheit der Märkte überzeugt und von der Beschränktheit von Staaten durchdrungen ist, empfiehlt sie ihren Lesern sogleich den Film »A Beautiful Mind« in den DVD -Player zu stecken, um die Eurokrise zu verstehen. 166
    Eines der wichtigsten Strategiespiele im Kalten Krieg, mit dem sich auch John Nash und seine Kollegen beschäftigten, war das »Chicken-Game«: Zwei Autos rasen auf einer Straße aufeinander zu. Wer schert als Erster und wann aus? Bis zu der wie vielten Sekunde kann ich dabeibleiben, damit der andere zurückzuckt? Wie stets bei diesen Gedankenspielen ging es nicht darum, wie jemand autonom reagiert, sondern wie er den Anschein der uneingeschüchterten Autonomie erweckt und den anderen über seine Absichten im Zweifel lässt. Das muss man wissen, wenn man verstehen will, wie Staaten und ihre Bürger heute von Finanzmärkten gelesen werden: Sie tun so, als gebe es sie nicht.
    Bürger und Staat haben keine Souveränität mehr, sondern »spielen« sie nur. Darum werden Parlamente zu Staffagen und Öffentlichkeiten zu Echoräumen, die man anspricht, um in Wahr heit Märkte zu

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