Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Preisen jagen. Andere attackieren die Walfische über falsche Signale. Wieder andere verraten die Absichten des Käufers, und dann gibt es noch das unendliche Dauerfeuer von Systemen mit sprechenden Namen wie »Blast«, die mit unglaublicher Geschwindigkeit gleichzeitig kaufen und verkaufen, um die Piranhas in Stücke zu reißen.
    Der investigative Finanzjournalist Scott Patterson, der vermutlich als Erster auf den Grund der »Dark Pools« geblickt hat, berichtet, wie nun die Schöpfer der Raubtier-Algorithmen einen selbst im härtesten Geschäftsverkehr für ausgestorben gehaltenen neuen Darwinismus erschaffen. Es ist nicht der darwinistische Überlebenskampf des Viktorianischen Zeitalters, sondern ein permanenter Krieg, ein Fressen und Gefressenwerden von selbstständig und blitzschnell agierenden Raubtieren, ein »fieber hafter Tanz von Jäger und Beute«.
    Die Schocks, die die Flash-Crashs von Mai 2010 und August 2012 durch die sozialen Netzwerke der Finanzmärkte jagten, waren ein Zeichen für das Maß an Instabilität, das die Systeme mittlerweile aufwiesen.
    Heute ist fast noch beunruhigender die unmissverständliche Sprache, in der fast alle Quellen belegen, dass keiner der Beteiligten wusste, wie man einen Ausweg findet, ohne die Grundlagen des Systems selbst zu zerstören. Es sind die alten Ängste des Kalten Kriegs, übertragen auf eine Welt, deren paranoide Wissenstechnologie keine »Transparenz«, sondern die nackte Angst vor Monstern produziert.
    Und wie im Kalten Krieg kommt es zu Scharmützeln, Drohungen mit vollständiger Vernichtung, Stellvertreterkriegen. Be reits zwei Mal seit Anfang des Jahrhunderts sind in den automati sierten Systemen Krisen ausgebrochen, die später als »Algo-Wars«, als Algorithmen-Kriege, bekannt wurden. 155 In der Rekonstruktion der Ereignisse, die Scott Patterson in seinem Buch »Dark Pools« unternommen hat, befindet man sich inmitten des Kalten Kriegs. »Tödliche Waffen« werden entwickelt, die in den Algorithmen-Kriegen furchtbaren Schaden anrichten, weil ihre Absichten und Pläne nicht mehr erkennbar sind, hochkomplexe Spielzüge, in denen jeder mit der Auslöschung durch den anderen rechnet und alle verzweifelt versuchen, ein »Gleichgewicht des Schreckens« zu etablieren.
    Während die Politik ihr eigenes SDI in Form von Rettungsschirmen aufspannte, zeigte eine Untersuchung, die für die Zeit von 2006 bis 2011 fast 19 000 ultraschnelle und völlig unerwartete Ereignisse am Aktienmarkt analysierte, dass die Kuppel, die die Finanzmärkte überwölbte, in der Bildsprache der Autoren »ultraschnelle Frakturen« erlitt, die zu einem »langsamen Zerbrechen des globalen Finanzsystems« führen könnten. 156
    Der Hauptgrund ist, dass die Mensch-Maschine-Kommunikation von der Maschine-Maschine-Kommunikation abgelöst wurde. Nicht nur »Darth Vader« Joseph M. Gregory hatte seinen Mitarbeitern erklärt, alles, was man für Profit brauche, sei die »Maschine«. Unzählige andere taten es auch.
    Fachleute wie George Dyson erklären heute offen, dass kein Mensch mehr weiß, wie sich ein Teil dieser in die freie Wildbahn entlassenen Mutanten von Nummer 2 entwickeln werden. Alles, was sie wissen, ist, dass ein galvanischer Funke ausreicht, etwas in Bewegung zu setzen. »Das könnte überall um uns herum geschehen«, sagt Dyson, »nicht nur in der Welt der Finanzen. Wir würden noch nicht einmal notwendigerweise bemerken, dass es da eine ganze Welt der Kommunikation gibt, die nicht mehr menschliche Kommunikation ist. Es sind Maschinen, die mit Maschinen kommunizieren. Vielleicht kommunizieren sie Geld oder Informationen, die eine andere Bedeutung entwickeln – aber wenn es Geld ist, merken wir es immerhin irgendwann. Es ist ein kleiner warmer Teich, der auf den elektrischen Funken wartet.« 157
    Wir fehlbaren Menschen wurden mit all unseren Defiziten und falschen Kompromissen aus der Schleife, »out of the loop«, genommen und durch Nummer 2 ersetzt. Jetzt, da Nummer 2 das Sagen hat, warnte Dave Cliff – einer derjenigen, der ganze Generationen des ökonomischen Agenten erschuf, ehe er die Wall Street verließ –, dass das gesamte System eines nahen Tages in eine »unendliche Schleife« eintritt, die kein Mensch mehr unterbrechen kann. 158 Systeme, die ständig herausfinden wollen, was ihr Gegenüber plant und verbirgt, und dann einkalkulieren, dass ihr Gegenüber weiß, dass sie herausfinden wollen, was er vorhat, und so weiter in alle Ewigkeit, hängen sich auf. Und weil sie