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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Europa«, das mit der Zwangsräumung einzelner Mietparteien droht und dessen Jugend sich zur Abwanderung nach Norden entschließt.
    Eine Illusion haben heißt, sich einen Scheck auf etwas auszustellen, was man nicht besitzt, und dafür etwas zu kaufen, was man sich nicht leisten kann – genau das ist in der amerikanischen Immobilienblase geschehen. Diese Häuser sind Wirklichkeitsstörungen, obwohl die Besitzer im Grundbuch stehen. Sie waren – das erst macht sie zu den Herolden der neuen Zeit – nicht nur Produkte der Finanzmathematik, sondern auch der politischen Ökonomie. Sie waren nicht nur ein Finanzexperiment, sondern zugleich ein soziales.
    Einem der Trader, der die Subprime-Blase zum Platzen brachte, fiel es nach eigenen Worten wie Schuppen von den Augen: »Wie vermittelt man armen Leuten das Gefühl von Wohlstand, wenn die Gehälter stagnieren? Man gibt ihnen billige Kredite.« 164
    Die amerikanischen Hausbesitzer, die einkaufen gingen mit Geld, das sie sich gepumpt hatten auf Häuser, die ihnen nicht gehörten, handelten bis zum Ausbruch der Krise vernünftig. Nicht nur Banken, auch Medien, Wissenschaftler und Nobelpreisträger ermunterten sie. Es entsprach der Theorie des neuen Informationskapitalismus.
    Die vermeintliche »Wissensgesellschaft« hat weltweit eine »Entkleidung« (»dismantling«) von Unternehmen, Institutionen und des Einzelnen von physischen Beschränkungen propagiert. Der Anteil immaterieller Güter und virtuellen Kapitals steigt ständig. Naomi Klein hatte in ihrem richtungsweisenden Buch »No Logo« die Ökonomie von Märkten beschrieben, die nicht mehr produzieren, sondern »branden«, leasen, Sachwerte und Menschen ausleihen und verleihen, sodass einige schon davon sprachen, dass kommende Konsumenten den Begriff des »Eigen tums« nur noch altmodisch finden werden.
    So wie bei den neuen Obdachlosen war es allerdings mit der »Entkleidung« nicht gedacht. Plötzlich standen die Menschen nackt und ohne Dach über dem Kopf in der Wirklichkeit herum. Dabei hatten die überschuldeten amerikanischen Hypothekenkunden lediglich Sätze wie »Nutze das Kapital, aber besitze es nicht«, die von einflussreichen Businessberatern stammten (Rifkin) und auf allen Vordenker-Kongressen der Welt bejubelt wurden, in Verhalten umgesetzt. Folgerichtig heißt es auch: »Nutze den Arbeitnehmer, aber stelle ihn nicht an« (sondern leihe ihn aus), und schließlich: »Nutze deinen Kopf, aber besitze ihn nicht.«
    Gemeint ist damit eine der folgenreichsten Operationen, mit der das »neue ökonomische Denken« sich eine Arbeitswelt errichtet, in der »Identität« und »Persönlichkeit« längst über Bord geworfen sind.
    »Unsere Identitäten«, fasst all diese Thesen ein berüchtigtes Manifest der Internetideologie in einem Satz zusammen, »haben keine Körper … also gibt es auch keinen physischen Zwang.«
    Wenn man Menschen in einem Käfig bei Laune halten will, muss man behaupten, dass eine Welt drumherum gar nicht existiert. Lassen wir dahingestellt, ob die Zwangsvollstreckung der amerikanischen Hausnichtbesitzer im August 2007 ein Webfehler in der Theorie oder in der Wirklichkeit war. Es war nämlich gar nicht möglich, diese Frage zu beantworten, denn die Dinge überstürzten sich.
    Was nunmehr geschah, wäre mit dem Ausdruck »selbsterfül lende Prophezeiung« zu fatalistisch umschrieben. Und bald schon zeigte sich, dass das Verleugnen des Körpers und der Physis trotz all der mentalen Muskelpakete, die der Computer beisteuerte, ihre Grenzen dort hatte, wo sie der Mensch hat. Die Generation der Menschen, die die klügsten Maschinen hatte, wusste nicht mehr, was eigentlich los war. Und dann, ja dann hörte es einfach auf. Dann kam dieses sonderbare Achselzucken, dieses Nicht- mehr-erklären-Können, dieser konfuse Streit der Ärzte am Kran kenbett, diese politische Vernebelung, dieser Satz: »Ich hoffe, es funktioniert …«
    Zu den größten Alarmzeichen der Krise zählt, dass es im Zeitalter der neuen Rationalität keine rationalen Antworten mehr gibt. Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass die Finanzkrise mit ihren astronomischen, jedes menschliche oder politische Fassungsvermögen überfordernden Zahlen uns zu Insassen des Rechners selbst macht, in dem wir nur noch staunend Ketten von Zahlen und Codes an uns vorbeirauschen sehen. So muss es sich im Inneren der Matrix anfühlen. Nach der Lehman-Krise waren zeitweise weder Banken noch deren Aufsichtsgremien in der Lage, Soll und Haben

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