Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
beeinflussen.
Staaten sind jetzt ökonomisch in ihrem Handlungsspielraum so eingesperrt, wie es die Welt des Kalten Kriegs militärisch war.
Im Januar 2012 nannte der Chefstratege der Chicagoer Investmentfirma »William Blair« die europäische Krisenpolitik ironisch ein »Souveränitäts-Spiel«, in dem es den Politikern gar nicht mehr um Geld, sondern um politische Selbstbestimmung geht. Während des Kalten Krieges sei Macht durch einen »Überfluss an Nuklearwaffen« demonstriert worden; jetzt präsentierten die neuen Rivalen – Staaten und Finanzmärkte – ihre Macht durch einen Überfluss an angeblichen Geldmitteln, die fallende Staaten retten oder vernichten könnten.
»Der Überfluss aber«, warnt Brian D. Singer, der Autor des Textes, kann »ein Bluff sein, oder er kann wirklich existieren.« Umgangssprachlich: Haben wir das Geld, für das wir garantieren?
Deutschlands Spielziel sei es, die »teutonische Finanzpolitik« dem gesamten Euroraum aufzuzwingen. Die Südländer brauchen Geld, müssten aber Teile ihrer Souveränität aufgeben. In der Welt von Nummer 2 ist die Idee, das Volk selbst zur Wahl gehen zu lassen, bereits deshalb eine »Drohung«, weil der Markt der bessere Wahlcomputer ist als das Plebiszit.
»Der frühere griechische Premierminister Papandreou versuchte die anderen Länder mit einem Referendum zu bedrohen. Unglücklicherweise war es ein Bluff, und er verlor seinen Job … Frankreich hat eine Koalition mit Deutschland gebildet, um Deutschlands ökonomische Kraft anzuzapfen … Es beabsichtigt nicht, die Finanzmärkte auseinanderzureißen; es spielt ein Souveränitäts-Spiel, genauso wie es John Nashs Modell vorhersagt. Die politischen Führer und ihre Medienpartner spielen das Spiel recht gut … Wenn die Liquiditätskrise vorbei ist, werden eine Reihe von entwickelten Ländern mit chronischer Insolvenz zu kämpfen haben.«
Die Investmentbanken brauchen also keine Angst vor Regulierung oder »Vergeltung« zu haben. »Man mag es mögen oder nicht, ein guter Anwalt, ein Derivativ und ein kluger ökonomischer Kopf kann jede nur denkbare Regulierung umgehen, unglücklicherweise auch manchmal illegal.« 167
Man darf nicht alles auf die Investmentbanker schieben: Sie beschreiben, wie Investoren im großen Spiel mitspielen können, aber die Staaten selbst spielen seit der Eurokrise das gleiche Spiel untereinander. Selbst der Satz 1 + 1 = 2 kann in diesem Umfeld des verdeckten Spiels ein Bluff sein. Es stellt sich aber die Frage, wie lange Demokratien diese Formen öffentlicher Kommunikation aushalten können.
In den Bunkern ihrer Verhandlungsräume muss die politische Klasse fünf Schritte vorausplanen und die nächsten zehn Schritte des Marktes voraussehen, der wiederum die fünf Schritte der Regierungen voraussieht und »eingepreist« hat. Regierungen reden nur noch taktisch mit ihren eigenen Öffentlichkeiten, sie übergehen Parlamente und Gesetze, sie müssen falsche Fährten legen und widersprüchliche Erwartungen hegen, unbegrenzte Geldmittel und einen langem Atem vortäuschen, Regulierungen ankündigen, durchsetzen oder verwerfen – alles nur, um im Rüstungswettlauf mit den Märkten den Gegenspieler zu verwirren, in die Irre zu führen oder zur Kooperation zu zwingen. Nur um nicht in die Falle zu laufen, sondern selbst eine zu stellen.
Die Gegenseite operiert mit genau den gleichen Bluffs. Nummer 2 als Meister spieltheoretischer Modelle hat sie ihnen allen beigebracht. Die Algorithmen kalkulieren aus einer Fülle von Informationen künftige Preisentwicklungen, berechnen mithilfe anderer Algorithmen, wie ihr eigenes Verhalten von anderen gelesen wird und die Zukunft verändert, und entscheiden deshalb, an wen und in welchem Umfang sie falsche Informationen senden. Sie versuchen, die Performance von Unternehmen vorherzusagen, ehe diese dem Unternehmen selbst bekannt ist (Dark Pools), senden selbst Informationen an den Markt der Finanzen und den Markt der Politiker, um Handlungen zu provozieren oder zu verhindern.
Die meisten der Hedgefondsmanager, Investmentbanker und Trader haben kein Gesicht und keinen Namen, aber wirkungsvolle Waffen und eine Rationalität, auf der das ganze Spiel beruht: Sie wollen nicht verlieren.
Während gesellschaftliche Konflikte zwischen Realwirtschaft, Staat und Gesellschaft jahrzehntelang und insbesondere in Deutschland unter dem Begriff »soziale Marktwirtschaft« kooperativ gespielt wurden, spielen die internationalen Finanzmärkte nun zunehmend
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