Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
individuellen Chancen maximiert, und er wird Methoden haben, Kriegs- und Verteidigungstechniken anzuwenden, die für den Nationalstaat unzugänglich sind.« 175
Präziser könnte man nicht beschreiben, wie Nummer 2 mensch liches Verhalten reduzieren will, wie er sich den Staat wünscht, in dem seine Menschen leben sollen. Und das Beste: Kriegstechniken sind, wie Bobbitt seitenweise belegt und wie jeder weiß, der Amerikas drohnenbestücktes, allsehendes »Eye in the Sky« auf sich ruhen fühlt, Informationstechniken – eine These, die Opponenten der Algo-Wars nicht überraschen kann. So wie in der Sekunde, in der dieses WORT geschrieben wird, High-Frequency-Algorithmen weltweit Hunderttausende Geschäfte abschließen, screenen High-Frequency-Algorithmen des Informations-Markt- Staats die Bewegungen seiner Bürger. Was immer die Zehntausenden Drohnen am Himmel über Amerika und die unzähligen Überwachungskameras aufzeichnen – es wird jetzt so übersetzt wie die Truppenbewegungen oder Autokonvois der Russen im Kalten Krieg oder wie Aktienbewegungen in automatisierten Märkten. Nummer 2 ist kein Wesen mit unvollständigen Informationen mehr.
»Mind’s Eye« (»Das Auge des Geistes«), ein Projekt des Pentagons, plant, alle Überwachungssysteme des täglichen Lebens mit visueller Intelligenz auszustatten. Es ist die soziale Entsprechung dessen, was die Radarcrews in den Fünfzigerjahren taten, und es wird das System symbolischer Handlungen und Transaktionen endgültig auf menschliches Leben übertragen.
Vor Kurzem erst haben Forscher der Carnegie-Mellon-Universität ein System präsentiert, das in Sekundenschnelle nicht nur Überwachungsvideos entschlüsselt, sondern auch vorherzusagen versucht, was als Nächstes passieren könnte. Videoaufzeichnungen werden in einzelne Sequenzen zerschnitten und dann mit semantischen Begriffen wie »aufnehmen« oder »begraben« oder »tragen« verbunden: Wenn jemand einen Körper »aufnimmt«, »trägt« oder »begräbt«, alarmiert das System die Operateure, die, nach Lage der Dinge zum Teil selbst wieder Maschinen sein werden.
Spieltheoretische Modellierungen spielen hier im Augenblick sicher nur eine marginale Rolle. Sie treten vermutlich bei Verhaltensvoraussagen und sozialen Strategien in Erscheinung, aber sind nur eine Zutat unter anderen. Bilderkennungsverfahren, statistische Analysen und vielleicht sogar neuronale Netzwerke sind wesentlich wichtiger für die »Augen« im Himmel. Doch das ist nur eine Frage des Organisationsgrads. Nicht nur Hal Varian glaubt, wie wir gesehen haben, dass sich mithilfe des Nash-Equilibriums Verhalten vorhersagen lässt.
Das muss, wie man in den Sicherheitsarchitekturen des Flughafens von Los Angeles sehen kann, nicht über uns kommen wie eine Drohung. 176 Dort wurde die Aufgabe, einen »intelligenten Gegner« (den Terrorismus) bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen von Angriffen abzuhalten, durch spieltheoretische Modelle gelöst, die die Sicherheitskräfte nach einem hochkomplexen Zufallsprinzip ständig neu verteilen – immer mit dem Ziel, die »Kosten« des Angreifers (er müsste z. B. ständig die sich ändernden Routinen überwachen) in Höhen zu treiben, die ihn resignieren lassen. Doch solche Anwendungen, die letztlich auf nichts anderes zielen als die Verteilung knapper Ressourcen (die Polizei), sind in anderen Zusammenhängen natürlich auch Methoden der Kontrolle. Was, wenn in der Ära von Big Data unser ganzes Leben über Drohnen und digitale Signale permanent gescreent und erfasst wird? Statistik ist das eine – und sie ist in der Gegenwart einer der wesentlichsten Schauplätze neben der Spieltheorie –, die Analyse des Materials unter dem Gesichtspunkt, dass man nicht mehr über die Motive eines Menschen wissen muss, als dass er seinen Nutzen maximieren will, ist moralisch etwas ganz anderes. In jedem Charles Babbage steckt ein Sherlock Holmes und in jedem Sherlock Holmes der Generalverdacht gegen eine Welt, die etwas zu verbergen hat.
Nein, das ist nicht Orwell, jedenfalls nicht, solange der Westen in Demokratien lebt. Und doch ist es womöglich dramatischer: Systeme, die menschliches Verhalten voraussagen, können nicht anders, als auf spieltheoretische Modelle zurückgreifen.
Anders gesagt: All diese kalten Augen am Himmel und auf der Erde müssen per definitionem von dem Menschen, den sie im Blick haben, das Schlechteste denken. Was daraus folgt, wollen wir uns genauer ansehen
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