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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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eigene Seele.
    Vermutlich handelte es sich bei diesem Budenzauber, Jahrhunderte vor Werbung und »Branding«, um den ersten Fall, bei dem Seelenarbeit mit Industriearbeit verbunden wurde.
    Viele Alchemisten waren Unternehmer, und die meisten un trennbar mit der florierenden Bergwerksindustrie verbunden. Ar beit an sich selbst, das heißt die Regeneration der Seele, verlangte eine Art spirituellen Mode-Konsum. Man musste immer wieder bereit sein – so der bezeichnende Vergleich –, die alte Existenzform abzulegen wie alte Kleider. Das geschah im Feuer der alchemistischen Schmiede: eine Metamorphose des Selbst, das zum Produkt in künftigen Arbeitsprozessen wurde.
    Die alchemistische Verwandlung war Kommunikation, und selbst die praktischen Ergebnisse im Labor wurden, wie die Forschung gezeigt hat, als eine Sprache gelesen, denn nur so ließ sich der Austausch zwischen Mensch und Materie überhaupt begründen. Darum die Geheimschriften und Codes, Buchstaben kalkulationen und schließlich auch die Gebete: In der Auflösung von Ding und Geist überdauerte Austausch, das heißt Kommunikation, als Essenz von allem. Tun ist Denken, und Denken ist Tun.
    Und so ist ein magisches System entstanden: Was einst »Initiation« war, ist heute »Kommunikation« über digitale Kanäle. Was der »Adept« war, heißt heute »Talent«. Was damals »Vollkommenheit« bedeutete, nennt sich heute »Perfektion«.
    »Talent«, weltweit das beliebteste Wort für gesuchte Ar beitskräfte, ist ein ewiges Versprechen, eine reine Potenzialität. Vernebelnde Begriffe wie »Wissen« oder »Kreativität«, von ah nungslosen Journalisten, die glauben, »Wissen« sei Bildung, im mer wieder zu Markern für darwinistische Überlebensvorteile erklärt, dienen in ihrer Willkür nur den Bedürfnissen des unberechenbaren Chefs, der seine Loyalität schenkt oder entzieht, wie es ihm gefällt.
    Es sind keine Begriffe der Freiheit mehr, sondern solche der sozialen Kontrolle. Sie entscheidet darüber, ob der Verlauf das gewünschte Ergebnis gebracht hat oder nicht. Die Selbst-Transmutation ist heute ebenso wenig wie in den Zeiten der schwarzen Magie irgendetwas, was man selbst in der Hand hätte.
    Das Ich, das die Gründe für sein Versagen am Ende bei sich selbst suchen muss, ist nur ein Interface, mit dem man die Welt bedient, aber genauso gut von ihr bedient werden kann. Bestätigung hängt von tausend Details ab, von der körperlichen und geistigen Gesundheit, der inneren Aufrichtigkeit, der Uhrzeit, zu der man Einträge bei Facebook schreibt oder E-Mails verfasst, dem Ort, an dem man sich aufhält, und alle Orte, an denen man jemals war und die es möglich machen, vorauszusagen, welche man in Zukunft je ansteuern wird.
    Man muss nur in die fassungslosen Gesichter alle Wissens gipfel erklimmender Studenten und Studentinnen blicken, Fach arbeiter, Ingenieur, Journalisten beobachten, die plötzlich erkennen müssen, dass »Wissen« nichts anderes ist als der Ausdruck für ein Geschäft, bei dem materielle Ergebnisse darüber entscheiden, was das Wissen taugt oder nicht. Denn auch Geld ist Information und bewahrt, wie im Weltbild der Alchemisten, den Doppelsinn eines sakralen wie profanen Werts.
    Geld ist, wie erläuternd Hans Christoph Binswanger in einer schönen Goethe-Deutung schreibt, »das (nur) Ausgedachte« – wohl das Einzige, was unmittelbar auf die Wirklichkeit wirkt. Die europäischen Gesellschaften haben erlebt, dass eine Informationsexplosion eine Geldexplosion zur Folge haben kann.
    Kein Wunder, dass Ken Binmore als Vision der neuen Zeit etwas vorschwebt, was er »nicht kognitives Lernen« nennt – ein Lernen, das nicht mehr »verstanden« werden muss; es ist eine Vernunft, die Wissen und Information vertauscht und in der es nicht mehr darum geht, eintreffende Informationssignale zu verstehen und zu durchdringen, sondern lediglich zu empfangen und weiterzuleiten. 215
    Informationen sind gewissermaßen die Substanzen und Chemikalien, die der Alchemist zusammenrührt. Er weiß nicht, woraus sie bestehen, und kann auch nicht erklären, wie sie funktionieren, aber mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein weiß er, was herauskommt, wenn man sie vermischt: vom Liebeszauber bis zur Wundheilung.
    Damit ist der Mensch selbst zum Werkstück im Informationszeitalter geworden, das seinen Wert erst durch Verarbeitung und Tausch bekommt.

27 Death Dating
    Schöpferische Zerstörung
und die Kunst der Ingenieure
    D ie Aufhebung von »Geist« und »Materie«

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