Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Mode, die über Werbung und Vorbilder als notwendig verkauft wurden. Einer der ersten Industriedesigner, Harley Earl, formulierte das »geplante oder dynamische Veralten«, wie er es nannte, so: »Unser großer Job ist es, das Veralten zu beschleunigen. 1934 behielten die Leute ihr Auto fünf Jahre. 1955 sind es zwei Jahre. Wenn es ein Jahr ist, haben wir den perfekten Wert.« 220
Jahrzehnte vor dem Heraufziehen einer durch Computer berechneten Welt war eine kulturelle Maschine gebaut worden, die deterministisch funktionierte und Überfluss durch eigenes Über flüssigwerden produzierte. Sie produzierte, zumindest in den Augen der Unternehmen, eine kalkulierte Selbstzerstörung, das Ergebnis einer Profitmaximierung, die keine Zufälle, keine falsche oder richtige Benutzung oder Lebensweise, kein Schicksal kannte – sie kam mit der Wucht der Vorherbestimmung. Sie veränderte Kategorien von Zuverlässigkeit, Loyalität und Langfristigkeit bei ganz handgreiflichen Dingen, lange bevor die moderne Mediengesellschaft, Politik und New Economy dies auch bei immateriellen Dingen taten.
Viele Zeitungsartikel und Leserbriefe aus der damaligen Zeit belegen, dass breiten Teilen der Öffentlichkeit bewusst war, dass die Welt, in die sie als Konsumenten eintreten würden, eine Welt der gebrochenen Loyalitäten sein würde.
Warenhäuser und Unternehmen versprachen damals plötzlich keine »lebenslangen Garantien« auf Waren mehr – eine Werbebotschaft, die vor der Weltwirtschaftskrise für Massenprodukte geradezu existenziell gewesen war. Keine zehn Jahre bevor sich im Börsencrash auch der ideelle Kollaps des ganzen Systems anzukündigen schien, hatte Henry Ford, der Urvater der Massenproduktion, erklärt:
»Wir können uns nicht vorstellen, wie wir dem Kunden anders dienen können als dadurch, dass wir ihm etwas anbieten, das, so weit es uns angeht, ewig hält … Es gefällt uns nicht, wenn das Auto eines Käufers kaputtgeht oder veraltet. Wir wollen, dass derjenige, der eines unserer Autos kauft, niemals wieder ein anderes kaufen muss. Niemals machen wir eine Verbesserung, die das vorhergehende Modell veraltet sein lässt.«
Nunmehr wurde, wie Giles Slade minutiös erzählt, das alte Versprechen der »lebenslangen Garantie« gestrichen und durch ein neues ersetzt: »instant gratification«, unmittelbare Wunschbefriedigung. Es war der endgültige Übertritt vom Ding an sich ins Hirn, dorthin, wo Hormone ausgeschüttet werden und Abhängigkeiten entstehen.
Vor allem aber schuf man auf diese Weise ein neues, simples und vereinfachendes Gesetz der Geschichte, das trotz einer verbreiteten Technikskepsis heute auch solche Bereiche der menschlichen Gesellschaft erobert hat – von Börsen bis zu sozialen Gruppen –, die das Gesetz einer Vorherbestimmung sonst rigoros ablehnen würden: Technologischer Fortschritt begründet sich aus sich selbst heraus. Wer nicht mithält, verliert den Anschluss.
Der Journalist Eli Pariser hat in seinem Buch »The Filter Bubble« darauf hingewiesen, dass sich dieser gespielte Fatalismus schon grammatisch in der Bevorzugung von Passiv- statt Aktivkonstruktionen ablesen lässt, denn »Technologen … sprechen selten davon, dass etwas geschehen ›könnte‹ oder ›sollte‹ – bei ihnen ›wird‹ etwas geschehen. ›Die Suchmaschinen der Zukunft werden personalisiert sein‹, erklärt Googles Vice President Marissa Mayer wohlgemerkt im Passiv«. 221 Pariser, der Google, Facebook und Amazon ein wenig überbordend vorwirft, dass sie uns nicht auf neue Dinge hinweisen, hat dennoch, ohne leider tiefer zu graben, eine Ahnung von dem viel grundsätzlicheren Problem: sie alle, so schreibt er, hätten in den Tiefen ihrer Codes »eine schlechte Persönlichkeitstheorie«. 222
In einer Welt, in der der Informationskapitalismus das Innere des Kopfes vermarktet, ist es nicht mehr das Produkt, sondern der Mensch selbst, der der »geplanten Veraltung« ausgesetzt wird. Deshalb zählen seine Erfahrungen, Arbeitszeugnisse und Loyalitäten nichts mehr. Deshalb ersetzt »instant gratification« die lebenslange Loyalität. Deshalb ist »Liquidität«, die Verflüssigung von Zahlen, Identitäten, Lebenswegen, Berufen das Gebot der Stunde.
In dem Maße, in dem Menschen automatenähnlicher funktionieren müssen, ist »Death Dating« das zentrale, weithin unterschätzte Prinzip unserer sozialen Welt geworden. Ein sechsunddreißigjähriger Schriftsteller hatte intuitiv verstanden, dass es nicht nicht nur um eine
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