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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Unsterblichkeit«.
    Nichts Geringeres als die Verwirklichung des ältesten Mensch heitstraums versprachen die Cyberpropheten – mit der kleinen Einschränkung, dass er sich nur mit dem digitalen Doppelgänger erleben lässt, jedenfalls solange Menschen in der Wirklichkeit noch atmen, essen und sterben müssen.
    Es war eine perfekte Arbeitsteilung zwischen den »Ökonomen des Geistes« (oder der Servicegesellschaft), die die Deindustrialisierung zu einem neuen Markt machen wollten, und den digitalen Evangelisten, die das Gleiche mit dem entkörperlichten und entseelten Ich machten, in dem Nummer 2 die Kontrolle übernahm.
    Die Ökonomen predigten die Verwandlung der Markt plätze, die politischen und journalistischen Sympathisanten die Verwandlung der Arbeitsplätze. Die einen die ökonomische, die anderen die soziale Transmutation. Fast alle Kampfbegriffe teilten sie sich brüderlich: »Outsourcing«, »Reeineering«, »Down sizing«.
    Die Motivation war klar: War erst alles »immateriell« und nur noch eine Frage von »Informationsökonomie« und Kommunikation, hatte man endlich die wirkliche Welt zu jenem symbolischen Raum gemacht, in dem Nummer 2, Computer und die Spieltheorie so agieren konnten wie im Kalten Krieg.
    Kevin Kelly gehört zweifellos zu jenen »progressiven« Vordenkern, die nicht nur verantwortlich für den ganzen Mischmasch von technologischen und biologischen Metaphern sind, sondern über die Abgründe eines jahrzehntelangen Kulturkrieges zwischen Gegenkultur und Wall Street hinweg dieser den Arm reichten. Dass die technischen Systeme neue »Lebensformen« werden, dass das Netz immer mehr weiß als der Einzelne und erst die Gesamtheit des nie zu fassenden Wissens die Wahrheit enthüllt – all das war in der Tat eine »neobiologische« Metapher, die aus dem »Netzwerk das macht, was Hayek sich unter dem Markt vorstellte«. 209
    Kelly hat viel dafür getan, dass Nummer 2 seinen Schrecken verlor (ein Beispiel funktionierender Systeme, das er liebt, ist »Sim City«). Er beschreibt eine Welt, in der nicht mehr Menschen, sondern die Agenten den darwinistischen Überlebenskampf führen – und zwar, in einer unsterblichen Passage, um beispielsweise den Preis für ein Ei festzulegen –, während der homo sapiens sich zurücklehnt und seinen vornehmen Gedanken über »Koevolution« und Kooperation nachhängt.
    Niemand entging Kellys alchemistischen Künsten, niemand ahnte, welchen Preis die neue Ideologie kosten würden, und niemand lachte, als Kelly mit Blick auf die Personalisierung von Pullovern und Hemden die Firma Benetton einen neuen »ökonomischen Superorganismus« nannte. 210
    Wenn jetzt, Anfang des 21. Jahrhunderts, Dämonen, Elfen, Zwerge, Magier und Vampire nach langer Verbannung wieder in die Gehirne der Menschen zurückkehrten, dann muss man in ihnen erste Vorboten eines fundamentalen ökologischen Wandels sehen. Das Klima der Vernunft, das sie nicht aushielten, hatte sich zu ihren Gunsten geändert.
    Nun erwachen auf Millionen von Bildschirmen, auf denen man Gedanken mit Berührungen und Geld mit Licht überträgt, Kreaturen, die zuletzt in den gläsernen Retorten der Alchemisten ausgebrütet wurden.
    Jeder noch so abgerissene Magier des 17. Jahrhunderts, dessen Dienste ein paar Jahrhunderte nicht gefragt waren, käme in unserer heutigen Welt blendend zurecht. Nicht nur bei Computerspielen wäre er in der Meisterklasse.
    Ob Rattenkot oder Ochsengalle – niemand müsste ihm eine Welt erklären, in der mit mathematischem Code jede Information über jede einzelne Seele bis hin zu der Frage, wie lange Sie lesend auf dem E-Reader bei den Worten »Rattenkot« oder »Ochsengalle« verweilen, in Geld verwandelt werden kann.
    Dass er in einer Epoche angekommen ist, in der, wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz es formuliert, »Finanzalchemisten« der Wall Street in ihren »Frankenstein’schen Labors« mit mathematisch undurchschaubaren »toxischen« Formeln an ihren Bildschirmen »Monster« produzierten, hieße für ihn nur, dass er endlich nach Hause gekommen wäre.
    Kein Wunder, denn wenn die Finanzmarketing-Literatur beispielsweise CPDO buchstabiert, benutzt sie die gleiche unverständliche Buchstabenmystik, wie der Alchemist es einst tat. In diesem Fall, um »die heißeste alchemistische Methode zur Transformation von bleiernen Krediten in das Gold von singulären Gewinnen« an den Kunden zu bringen. 211
    Denn den Unterschied von Geist und Materie hat der Alchemist nie

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