Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
hat in der Realwirtschaft des 20. Jahrhunderts eine höchst realistische Vorgeschichte. 1932 befand sich die damals größte Industrienation der Welt in einer wirtschaftlichen Depression, die weit mehr war als eine zyklische wirtschaftliche Krise. Das pure Faktum und das Ausmaß der Katastrophe widerlegen all die Versprechungen, die fast ein halbes Jahrhundert lang das große Epos der technologischen Wunder begleitet hatten.
In vielem wirkt es, als sei 1932 ein Muster, als nehme die monströse Selbstbewusstseinskrise der Welt von damals die Welt des Jahres 2012 in Teilen vorweg. Ein heftiger Einbruch der Immobilienpreise und die Konsumverweigerung der amerikanischen Öffentlichkeit hatten die Wirtschaft an den Rand des Ruins gebracht. Schon die Boomjahre vor der Weltwirtschaftskrise waren von der Angst vor Überproduktion getrieben.
Noch kauften die meisten Menschen Dinge, weil sie sie brauchten, und nicht, weil sie sie begehrten, aber es war absehbar, dass man sich was einfallen lassen musste, um die Umlaufgeschwindigkeit der Waren zu erhöhen.
Die Rekordjahre der Industrieproduktion vor der Weltwirt schaftskrise sahen die Massenproduktion von Autos, Kühl schränken, Verkaufsautomaten, aber unterhalb der Ebene von Dingen, die man anfassen und kaufen konnte, wurden erstmals Werkzeuge produziert, mit denen man in die Innenwelt des Kopfes vordringen und ihn manipulieren konnte wie ein Stück Holz oder Metall.
Die Entdeckung der Massenpsychologie für den Werbemarkt schließlich – durch Sigmund Freuds Neffen Edward Bernays, der den Begriff »Public Relations« erfand – bedeutete die Kolonialisierung und Ausbeutung eines seelischen Kontinents, der jahrhundertlang als unberechenbar galt.
Damals ging es nur um mentale Rohstoffe und nicht um mathematische Modelle, wie sie 80 Jahre später die Informatiker des Computerzeitalters mithilfe von Psychologen und Anthropologen anwenden würden. Entscheidend aber war, dass man den Erfolg der neuen Methoden in Mark und Pfennig ausrechnen und am Umsatz ablesen konnte.
Die Erkenntnis, dass der Einzelne, wenn er Teil der Masse geworden ist, berechenbar und in seinem Verhalten bis zu einem gewissen Grad vorherbestimmbar ist, war, lange bevor es Google und Algorithmen gab, so etwas wie der Kernfusionsreaktor des gesellschaftlichen Wandels mit enormen politischen Konsequen zen. Die zwei Atomkerne, die verschmolzen, waren Psyche und Produkt.
Die Erfinder dieser Instrumente, »Werbung« und » PR « genannt, sahen sich, wie Edward Bernays es formulierte, als Elite, als »eine relative kleine Gruppe von Menschen«, die als Einzige die »geistigen Prozesse der Massen« verstanden. Ein Versprechen, das nach den Erfahrungen von emotionalen Massenmobilisierungen im Ersten Weltkrieg von enormer Bedeutung war.
Konsequent sprachen die »Sozial-Ingenieure«, wie sie sich gerne nannten, von ihren Dienstleistungen als »Technologien«. Sie waren wirkungsvoll und von geradezu gnadenloser Neutralität. »Werbung ist eine non-moralische Kraft«, schrieb die Werbeagentur A. J. Walter Thompson 1925, »sie ist wie Elektrizität, die nicht nur Licht ermöglicht, sondern auch den elektrischen Stuhl.« 216
Natürlich haben sich die »verborgenen Verführer« überschätzt, und man kann sogar sagen, dass ihre Behauptungen über die Kontrollmacht, die sie über Menschen haben, einer ihrer besten Werbegags gewesen ist. Eine ganze Bibliothek von Untersuchungen hat mittlerweile das Bild der Manipulatoren relativiert. Sie konnten nicht, was sie behaupteten zu können, lautet eine verbreitete These, weil der Mensch reicher, tiefsinniger und widersprüchlicher ist, als es die vereinfachten Konzepte glauben machen wollten. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, ob man die Welt so zurichten kann, dass sie in die einfachen Konzepte passt.
Die Seele, das hatte die Massenpsychologie gezeigt, konnte so manipuliert werden, dass neutrale Dinge in einem anderen Licht erschienen. Jetzt kam der zweite Teil: Auch die Dinge konnten so manipuliert werden, dass sie die Psyche, ja einen gesamten Verhaltenskodex, veränderten. Über nichts klagen die Bewusstseinsingenieure der Dreißigerjahre so sehr, wie über die Moral ihrer Kunden, die überzeugt waren, dass man Dinge nicht verschwenden und ein Leben lang benutzen sollte.
Den entscheidenden Vorschlag machte ein Immobilienmakler namens Bernard London, der 1932 einen Essay mit dem Titel »Die Überwindung der Depression durch geplante Veraltung« publizierte. Mit
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