Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Manipulation der Dinge, sondern um eine der Menschen ging, und dieser Erkenntnis verdanken wir den Schlüsseltext der modernen Gesellschaft schlechthin. 1932, im gleichen Jahr wie Londons Essay über das »geplante Veralten« erschien Aldous Huxleys Roman »Schöne neue Welt«, der – worauf Neil Postman schon vor Jahren hinwies – unsere heutige Situation sehr viel realistischer erfasst als Orwells »1984«. 223 Indoktrinationsmaschinen flüstern dort den in Trance versetzten Menschen ins Ohr, dass sie die Sachen nicht reparieren, sondern wegwerfen sollen (»ending is better than mending«). Eine Gesellschaft, in der nicht nur Klamotten und Apparate, sondern vor allem auch Menschen »Fabrikationsfehler« haben, geht wie selbstverständlich davon aus, dass man zeitlich begrenzte Lebenszyklen in menschliche Fähigkeiten, Talente, Emotionen und Loyalitäten künstlich einprogrammieren kann. Bei Huxley geschieht dies durch Veränderungen der genetischen Information. So weit sind wir glücklicherweise noch nicht, aber nahe dran sind wir schon. Bei uns werden, wie wir noch im Detail sehen werden, digitale Informationen ausgelesen und bewertet, die vorhersagen, wie lange ein Arbeitnehmer noch loyal sein wird, ob er in zehn Jahren noch an der Stelle funktioniert, für die man ihn heute engagiert, oder ob er überflüssig wird. In die Mechanik der Lebensläufe ist längst ein Schalter eingebaut, der den Menschen, ohne dass er auch nur die Gründe dafür kennt, an- und abschalten kann.
»Transmutation« ist das ständige An- und Abschalten von Fähigkeiten und Eigenschaften im großen Genpool des sozialen Lebens. Einer der weltweit wichtigsten Vermarkter von Lebensläufen, Reid Hoffman, Gründer von Linkedin, formuliert unsentimental, worum es heute geht: »Es gibt kein wahres ›Selbst‹ irgendwo in dir drinnen, das du durch Selbstbeobachtung entdecken könntest und das dir die Richtung weisen könnte.«
Man muss sich davor hüten, solche Behauptungen nur als Privatphilosophie erfolgreicher Unternehmer zu verstehen, die auch einmal ein Buch schreiben wollen. Im Gegenteil: Sie führen direkt ins Herz der neuen Ideologie, dort, wo multinationale Apparate das Sein des neuen Menschen produzieren.
»Tun heißt tun und nicht: darüber nachdenken.« Das ist kein psychologisches, sondern ein physikalisches Weltbild. Es ist das, was Computer sagen würden, wenn sie über Seelen reden könnten.
»Man kann«, so hat der Philosoph R. G. Collingwood das Konzept der neuen Physik unter dem Beifall der Cyber-Protagonisten formuliert, »was ein Ding ist, nicht von dem trennen, was es tut.« Die Aufhebung dieser Unterscheidung, so Collingwood, ist zugleich die Aufhebung von Geist und Materie. Damit wird das, was ein Mensch ist, automatisch zu einem moralischen Werturteil, das sich nur aus seinem Handeln ableitet.
Weil Identität nicht mehr in etwas gründet, was man ist, kann man auch nicht kaputtgehen wie das fallen gelassene Spielzeug. Der Mensch der Cybermoderne wird an- und abgeschaltet, wenn ihn die Knoten des Netzes von Informationen abtrennen.
Genau dort, wo das Silicon Valley seine neue Ideologie vorbereitete, finden sich historisch die ersten Anzeichen dafür, dass Menschen diese Veränderung instinktiv spürten.
Eines Tages, im Dezember des Jahres 1964, trat ein junger Mann vor ein Mikrofon vor protestierenden Studenten und rief ein paar Sätze, die später legendär werden sollten: »Wir sind ein Stück Rohmaterial, das nicht in ein Produkt verwandelt werden will, das nicht von irgendwelchen Kunden der Universität gekauft werden will. Wir sind menschliche Wesen.«
Er hieß Mario Savio, und er rief diesen Satz am 2. Dezember 1964 auf dem Campus der amerikanischen Berkeley-Universität. Der Protest des »Free Speech Movement« (der sich später weltweit in der Studentenrevolte entladen sollte) richtete sich erstmals geg en die Verwertung von Seele, Geist und Wissen für die Apparate des militärisch-wissenschaftlichen Komplexes. Denn genau das hatten in einer heute unvorstellbar offenherzig wirkenden Weise die Eliten für die junge Generation des Jahres 1964 vorausgesagt.
Wer nachliest, was Clark Kerr, der Kanzler der Universität Berkeley, gegen den sich die Proteste vor allem richteten, 1963 in einer Vorlesungsreihe verkündete, kann ermessen, welche enorme Vorlaufzeit das Konzept der Wissensgesellschaft von der Idee bis zur Implantierung hatte.
1963 zeichnete Kerr das Bild einer Welt, die sich in fast nichts von der
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